Kleine Schritte
von Roland Vossebrecker
Kleine Schritte?
Individuelle Verhaltensänderungen können das Klima nicht retten. So weit, so Konsens.
Aber stimmt das wirklich?
Die entscheidenden Hebel lägen bei der Politik, so die gängige Erzählung. Und selbstverständlich kann und muss eine verantwortungsvolle Klimapolitik liefern. Sie kann Rahmenbedingungen verändern, CO2-Preise setzen, E-Autos fördern, Erneuerbare ausbauen, ein Klimageld beschließen (äh?), klimaschädliche Subventionen beenden (Hallo?), aus fossilen Brennstoffen aussteigen (statt LNG auszubauen und Erdgas in Katar oder im Senegal einzukaufen), ein Tempolimit beschließen („aaaaargh!“) …
Und ob bei den alljährlichen Weltklimakonferenzen oder im politischen Alltagsgeschäft, wir erleben ständig, wie unfassbar langsam es voran geht.
Doch eines kann die Politik nicht: Den notwendigen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen. Zumindest ist in der politischen Landschaft weit und breit niemand in Sicht, die/der bereit wäre, das vorherrschende kolonialfossile (Friederike Otto) Konsummodell in Frage zu stellen.
Und die Geschichte zeigt, dass die Politik dem gesellschaftlichen Veränderungen immer hinterher hinkt.
Daher haben individuelle Verhaltensänderungen eine ganze Reihe enorm wichtiger Bedeutungen:
- Sie sind ein Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel.
- Sie stärken Gefühle von Selbstwirksamkeit, Gemeinschaftlichkeit und Verantwortung.
- Sie sind ein Beitrag zur KlimaGerechtigkeit.
- Sie verändern Konsummuster.
- Sie machen Forderungen an die Politik glaubwürdig(er).
Und zu Ende gedacht gehört politisches Engagement notwendigerweise zu den Verhaltensänderungen dazu!
Kleine Schritte? Ein Plädoyer zu mehr Mut
Üblicherweise wird empfohlen, mit kleinen Schritten zu beginnen. Nur noch zwei Mal die Woche Fleisch essen, nur noch einmal im Jahr in den Urlaub fliegen, öfter mal den Bus oder das Fahrrad nehmen, mehr Bio kaufen, Plastik sparen und den Müll trennen.
Keine Frage: Wer so handelt, handelt besser, als wer es nicht tut.
Aber wir haben 2024. Laut Copernicus-Institut lag die globale Durchschnittstemperatur erstmals 12 Monate lang über der 1,5°-Grad-Marke. Das vergangene Jahr war ein Jahr verheerender Klimakatastrophen, und wir erleben ständig neue. Haben wir noch Zeit für kleine Schritte? Sind kleine Schritte in die richtige Richtung zur falschen Zeit nicht falsche Schritte?
Und während manche kleine Schritte wirklich in die richtige Richtung gehen, sind andere aber mehr geneigt, den Status Quo zu zementieren und wirkliche Veränderung zu verhindern. So zum Beispiel, wenn uns die Werbung suggeriert, wir könnten die Meere durch den Kauf eines Bio-Shampoos retten oder unsere Kreuzfahrt nachhaltig gestalten, indem wir beim Verlassen unserer Kabine das Licht löschen. (Siehe dazu: https://klimagerecht-leben.de/green-lifestyle)
Ist das jetzt nicht total entmutigend? Ich denke nein und möchte eine kühne These wagen:
Große Schritte sind einfacher als kleine!
Warum?
- Die kleinen Schritte sind extrem anfällig für Rückfälle in alte Gewohnheiten.
- Den kleinen Schritten haften im Unterbewusstsein immer das Gefühl des Ungenügens an.
- Falsche Handlungsweisen werden nicht dadurch richtig, dass man sie seltener tut.
Der „große Schritt“, den Gerechtigkeits-Gedanken zu verinnerlichen und damit als selbstverständlich mitzudenken, hat dagegen einige Vorteile:
- Wir müssen nicht mehr ständig schwierige Einzelentscheidungen treffen! (Ist heute die Ausnahme, an der ich mir XYZ gönne?)
- Dadurch wird klimagerechtes Leben und klimagerechtes Engagement zum Selbstläufer.
- Und man erfährt das befriedigende Gefühl echter Selbstwirksamkeit.
Ein besseres Mittel gegen den Klimafrust gibt es nicht.
Nur Mut!
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