Waste Side Story und andere Geschichten

Waste Side Story und andere Geschichten

Waste Side Story und andere Geschichten

von Tabea Schünemann

Sechs Kilometer entfernt von Cluj-Napoca, der zweitgrößten Stadt Rumäniens, liegt Pata Rât, eine große Mülldeponie. Hier leben inzwischen in vier informellen Siedlungen ca. 1500 Menschen der Roma-Community zu unmenschlichen Bedingungen. Luft und Wasser sind von Müll und Chemikalien verschmutzt, was zu hohen gesundheitlichen Gefährdungen der Menschen führt. Abgeschnitten vom Rest der Welt, ohne Zugang zur Bildung oder Infrastruktur. Im Jahr 2010 wurden 270 Rom*nja aus Cluj dorthin zwangsumgesiedelt als „Sozialwohnungs-Projekt“ für die Errichtung anderer städtischer Gebäude, u.a. für den Tourismus (!). Sie leben in prekären Situationen, ihre Jobs in der Stadt gibt´s nicht mehr. Eine Frau erinnert sich an diesen schrecklichen Morgen: 

 

“We were overwhelmed and terrified by the number of police officers. Following pressure and verbal threats from the local authorities, we accepted the housing they proposed without knowing the exact location and the condition it was in.”

 

Diese Geschichte von Gewalt und Klimarassismus, die nicht die einzige aus Rumänien und Europa ist, wird erzählt in der modernen Oper “Waste Side Story“ in Cluj. Eindrücklich schildert sie die Situation der Menschen, die sich bis heute trotz Urteilen und Versprechungen des Landes nicht wirklich geändert hat. 

 

Warum erzähle ich das hier?

 

Zum einen bin ich selbst sehr bewegt von der Opernaufführung und dem Potential von Kunst, Perspektiven aufzuzeigen und auf Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. 

 

Zum anderen macht es deutlich:

 

Klimaungerechtigkeit ist ein Phänomen der Gegenwart. 

 

Klimaungerechtigkeit heißt: Die Menschen, die am wenigstens dazu beitragen, leiden am meisten unter den Folgen von Klimakrise und Umweltverschmutzung. 

 

Sie passiert hier und heute. Jeden Tag. Auch in Europa. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen. „Was – hier bei uns?“ Ja, „hier bei uns“. Unsere Gesellschaften sind rassistisch strukturiert und so sind marginalisierte Gruppen am meisten von der Klimakrise betroffen. Schon jetzt. In diesem Fall konkret gesundheitlich und sozial von Umweltverschmutzung. Das ist Klimarassismus. Nach der Definition des „European Environmental Bureau“ erfüllt es drei Kriterien dessen: Die Menschen sind abgeschnitten von der Stadt und grundlegenden Leistungen, in Gefahr gebracht durch das Leben in dieser giftigen Umgebung, und abgesondert durch die Zwangsumsiedlung für städtische Bauprojekte. 

 

Ich möchte hier also dazu anregen, darüber nachzudenken, wofür oder besser für wen wir unser Leben an der Klimagerechtigkeit ausrichten. 

Es geht darum, hinzusehen, wo Menschen jetzt schon auf alles verzichten müssen, weil unsere Strukturen ungerecht und rassistisch sind. Wo marginalisierte Menschen jetzt schon unter der Klimakrise leiden. Rom*nja überall in Europa sind ein Beispiel; Hitzetode bei älteren Menschen ein anderes, oder ich denke auch an die Menschen mit Behinderung, die wegen fehlender Schutzkonzepte in der Ahrtalkatastrophe nicht rechtzeitig evakuiert werden konnten. 

 

Wenn wir menschlich sein wollen, sind diese Geschichten und Gesichter nicht schon Grund genug, uns für Klimagerechtigkeit einzusetzen?

 

Wenn uns das alles egal ist, haben die rechten Kräfte schon jetzt gewonnen. 

 

 

 

Mehr Infos: 

 

https://crd.org/wp-content/uploads/2023/04/UnnaturalDisaster-report2023.pdf

https://ejatlas.org/conflict/pata-rat-landfill-cluj-napoca-romania

https://meta.eeb.org/2024/01/15/insights-from-the-first-ever-roma-environmental-justice-conference/

„Wäre einiges anders gelaufen in meinem Leben, wäre ich Trump-Wähler“ 

„Wäre einiges anders gelaufen in meinem Leben, wäre ich Trump-Wähler“ 

„Wäre einiges anders gelaufen in meinem Leben, wäre ich Trump-Wähler“ 

– wider eine linke Arroganz

von Tabea Schünemann

„Es gibt eine Sache, die ich nie vergessen möchte“, sagte mal ein Amerikaner zu mir, der demokratischer, linker, liberaler, nicht hätte sein können: „wäre einiges anders gelaufen in meinem Leben, wäre ich Trump-Wähler.“ 

 

Wow. Das Wort dafür ist: Demut.

Die Demut, zu wissen, dass alles auch anders hätte sein können, je nach Geburtsort, Familie, Kontext, Umfeld, … Natürlich hat jeder Mensch eine Verantwortung und es gibt keine Entschuldigung dafür, Trump oder die AfD oder sonst wen Menschenverachtendes zu wählen! Klar!

 

Aber, ich bin nicht die Einzige, die eins immer wieder nervt: Linke Arroganz.

Damit meine ich all diejenigen, mich eingeschlossen, die vergessen, dass auch sie nicht als Aktivisti geboren wurden. Dass einige, mich eingeschlossen, einen langen Weg dahin gegangen sind bis zu den Werten, die sie heute vertreten. Dass es das Beste, aber nicht selbstverständlich ist, links zu sein, was auch immer das bedeutet. Und dass es vielleicht eher um linkes Tun als linkes Sein gehen müsste.

 

Da ist eine Spannung: Meine politische Haltung, mein Klimabewusstsein, von dem ich einerseits möchte, dass alle es teilen und sich die Welt in die richtige Richtung verändert. Und andererseits es aushalten zu müssen, dass nicht alle so denken und die Frage, ob das überhaupt das Ziel ist. Ob es nicht mittlerweile so sehr zu meiner Identität geworden ist, ein klimabewusster Mensch zu sein, dass ich davon wieder etwas aufgeben müsste, sollte es wirklich für alle gelten.

 

Zugehörigkeit ist wichtig, auch und gerade beim Aktivismus. Ich möchte auch auf der richtigen Seite sein und zu den Guten gehören.

Aber manchmal führt das Wiederum zum Ausschluss, zum Sich-abgrenzen und zu innerlinken Grabenkämpfen, die einem geschlossenen Kampf gegen rechts nun wirklich nicht dienen.

 

Es kann nicht nur um Selbstvergewisserung gehen!

 

Nicht zu verwechseln mit safe spaces, die soo wichtig sind. Es müssen nicht alle immer alle Gespräche führen. Deswegen sind Unbetroffene auch so sehr in die Pflicht genommen. Aber wenn mich dann ein Typ unterbricht, um mir Feminismus zu erklären, kann es doch auch nicht das Wahre sein.

 

Jetzt ist die Zeit für alle progressiven, linken Menschen, sich gegenseitig durchzutragen, auch mal zusammen traurig zu sein über die Kluft zwischen Ideal und Realität und dann loszulegen und linke Politik für Nicht-linke zu machen. 

Wald

Wald

Wald

von Tabea Schünemann

Jeden Tag sehe ich ein Stück Wald. Wie die Sonnenstrahlen sich ihren Weg durch die Kronen bahnen und auf saftiges Moos am Boden treffen. Wie Nebelschwaden durch junge grüne Zweige ziehen. 

Jeden Tag sehe ich denselben Wald. 

Es ist der Wald, den mein MacBook mir als Desktop-Hintergrund vorgeschlagen hat, als Abwechslung zu einer Berglandschaft, hinter der ab einer gewissen Uhrzeit sich sogar das Licht automatisch ändert. 

Künstlich erzeugte Natur. 

Vielleicht Ausdruck einer Sehnsucht, das sich hinter all den Word-Dokumenten und Netflixserien doch noch etwas birgt, das daran erinnert, dass wir auf einer Erde leben. 

Nicht, weil Word-Dokumente und Netflixserien weniger real wären. 

Ich bin auch wirklich nicht Typ Bäume-Umarmen und Kräutersammeln. 

Aber ich finde es schon erschreckend, dass ich nicht alles erkenne, was meine Mitbewohnerin gerade an regionalem Wintergemüse aus der solidarischen Landwirtschaft mitbringt. Was um alles in der Welt kocht man mit Pastinaken???

 

Und dann stehe ich hier, vor mir ein Wald aus toten Bäumen im Umland von Leipzig. Hier wird der Weg plötzlich abschüssig, dort, wo damals die Kante zum Kohletagebau war, inzwischen wieder aufgeschüttet und aufgeforstet, aber erfolglos. Malerische Seen mit Ferienhäusern und Segelbooten sind nun dort, wo sich einmal die Krater der Kohle bis an den Stadtrand erstreckten. Ein Briefkasten in der Mitte des Sees erinnert an die Dörfer, die hier weggebaggert wurden. Von hier kann man Briefe mit Stempeln aus jenen Dörfern abschicken.  

Erschöpft sieht sie aus, die Natur, im Sinne des Wortes. Alles ausgeschöpft, alles aus der Erde geholt und verbrannt – für immer. Die Wunden sind nicht zu kaschieren, auch die gesundheitlichen Schäden für die Menschen in der Nachbarschaft der Zerstörung nicht oder die Trauer über den Verlust von Heimat.

Es braucht gar nicht viele Worte, nur diese Begegnung mit diesem sichtbar ausgebeuteten Stück Land und plötzlich empfinde ich so etwas wie Mitgefühl. Fast kann ich das hören, was die Bibel das “Seufzen der Erde” nennt. Psycholog*innen sprechen von “Solastalgie”, die Trauer im Angesicht der Zerstörung unserer Erde. Trauer um den Verlust unserer Heimat.

Ja, ich bin traurig. Aber fühle mich auch plötzlich verbunden mit der Natur, ganz unromantisch.
Viel mehr als durch meinen Desktophintergrund. 

Sind wir noch zu retten?

Sind wir noch zu retten?

Sind wir noch zu retten?

von Roland Vossebrecker

„Der Kampf um politische Deutungsmacht muss wieder aufgenommen werden – als Kampf um eine bessere Welt. (…) Widerstand gegen den Autoritarismus muss die Form des aktiven Herbeiführens einer besseren Zukunft annehmen.“

Daniel Binswanger

 

Ich schreibe diesen Artikel aus der tiefsten Überzeugung heraus, dass Klimagerechtigkeit nur demokratisch zu erreichen ist, dass aber gleichzeitig die Einhaltung planetarer Grenzen, die hinreichende Stabilisierung des Klimas, der Stopp des Artensterbens, kurz: der Erhalt der menschlichen Lebensgrundlagen die Voraussetzungen einer funktionierenden Demokratie sind.

Wenn es nun schlecht steht ums Klima und um die Demokratie stellt sich mir die Frage:

Sind wir noch zu retten?

„Mehr für Dich – besser für Deutschland“

„Mehr Wachstum“

„Fleiß muss man wieder im Geldbeutel spüren“

Diese Slogans aus den vergangenen Wahlkämpfen stehen symptomatisch für einen kapitalen Fehler, den alle Parteien leider ohne Ausnahme immer wieder machen: Ein Wohlstandsversprechen, das über kurz oder gar nicht mehr lang nicht einzuhalten sein wird.

Eine Studie des Institute for Climate Risk and Response der Universität von New South Wales, Australien, zeigt, dass selbst bei der äußerst optimistischen Annahme des Einhaltens der 2°-Grad-Grenze mit weltweiten BIP-Verlusten von 16 % zu rechnen ist. Das klingt erst einmal technisch abstrakt, bedeutet aber massive Wohlstandsverluste, zusammenbrechende Lieferketten, Hungersnöte und absehbar Kriege um Ressourcen. Wenn dies offensichtlich wird, wenn die Versprechen ewigen Wohlstandes wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen und wenn dann die demokratischen Parteien mit leeren Händen dastehen – dann ist die große Stunde der Rechtsextremen gekommen.

 

In den 90er-Jahren schienen liberale Demokratie und freie Marktwirtschaft alternativlose Erfolgsmodelle zu sein. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks, dem Ende des Kalten Krieges, dem Sieg des Kapitalismus über die sowjet-kommunistische Planwirtschaft glaubte man sich am Beginn eines rosigen Zeitalters, Stichwort „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama). Im naiven Glauben, dass von nun an die Dinge von allein immer besser würden, überließ man Fortschritt dem Markt, statt ihn politisch aktiv zu gestalten. 

Die optimistischen Zeiten sind vorbei, jahrzehntealte Gewissheiten zerfallen.

Heute befinden wir uns in einer geopolitischen Situation, in der die USA unter Trump/Musk eher ein Feind als ein Verbündeter sind, in der Russland kalte und heiße Kriege anzettelt und China mit einem autoritär-kapitalistischen Modell die wirtschaftliche Weltvorherrschaft erkämpft. Währenddessen scheitern Demokratien weltweit, rechte und rechtsextreme Kräfte gewinnen an Macht und faschistoide „Heilsbringer“ à la Trump, Erdogan, Orban, Milei etc. sind auf dem Vormarsch. Es passt ins Bild und ist brandgefährlich, dass diese Autokraten nichts von Klimaschutz halten und diesen mit Lügen torpedieren. Besonders unheilvoll ist das Bündnis von extremen Wirtschaftsliberalismus und Staatsabbau zugunsten weniger Tech-Milliardäre mit rechtsextremen Ideologien.

Gleichzeitig eskalieren Klima- und Umweltkatastrophen: Der Kapitalismus scheitert an sich selbst. Der Überkonsum westlicher Wohlstandsstaaten ist dabei, die Welt in den Kollaps zu führen. Selbst BND und Bundeswehr betonen mittlerweile die Gefahren für unsere Sicherheit durch den Klimawandel: „Wer Sicherheit denkt, muss Klima mitdenken. Wir leben bereits in der Klimakrise.“

Die Leidtragenden sind besonders jene Menschen in ärmeren Ländern des globalen Südens, die nicht oder kaum zu den Umwelt- und Klimakrisen beigetragen haben. Dadurch, dass man die Kollateralschäden des scheinbar so erfolgreichen kapitalistischen Konsum-Systems bewusst in Kauf nimmt, oder zumindest die Augen davor verschließt, wird das „westliche“ Demokratie-Modell für den Globalen Süden immer unglaubwürdiger und unattraktiver. „Freiheit“, „Menschenrechte“, „westliche Werte“ sind inmitten der giftigen Wohlstands-Müllberge am Strand von Ghana eher hohl klingende Begriffe.

 

Wie kann sich Demokratie weltweit unter diesen Verhältnissen noch behaupten? Wie muss sie sich neu aufstellen, um überleben zu können?

Ein „Weiter so“ mit geringfügig anderen Mitteln – seien es E-Autos, Windräder oder Sondervermögen, so sinnvoll sie im Einzelnen auch sein mögen – kann keine Lösung für die globalen Probleme darstellen. Es braucht den Mut zu einem radikal grundsätzlichen Wandel, bei dem einige Bedingungen erfüllt werden müssen:

Sagt die Wahrheit

Es ist Zeit für radikale Ehrlichkeit über die bevorstehenden Krisen und Katastrophen, über das Überschreiten planetarer Grenzen, über die Verantwortlichkeiten westlicher Konsumdemokratien, über Globale Ungerechtigkeiten und über den zu erwartenden Wohlstandsverlust: Wohlstandsversprechen sind eine Lüge, eine gefährliche!

Ehrlichkeit aber nicht nur über das, was zu verlieren, sondern bitte auch, was zu gewinnen ist: Gesunde Umwelt, Gerechtigkeit, Zukunft…

Angst vor der Transformation überwinden

Viele Menschen machen sich größte Sorgen um die Wirtschaft, das Wachstum, die Arbeitsplätze, sollte es zu einer grundlegenden Transformation unseres Lebens kommen. „Was wird denn aus den Arbeitsplätzen, wenn alle auf einmal aufhören zu shoppen?“ Keine Sorge, nichts geschieht auf einmal, manches allerdings sehr schnell: Das Internet, das Smartphone, neuerdings KI haben das Leben und das Wirtschaften des gesamten Planeten grundlegend verändert. Die Dinge passieren einfach, mit allen Risiken und Nebenwirkungen, ohne dass wir unseren Arzt oder Apotheker fragen konnten, ohne dass je darüber demokratisch entschieden wurde.

Welche Berechtigung hat also die Furcht vor einer von uns demokratisch gestalteten Transformation zum Besseren, um den ökologischen und demokratischen Kollaps zu verhindern?

Was könnte demokratischer sein, als die Transformation hin zu einem guten Leben für alle zu wagen? 

„Es muss sich alles ändern, damit es bleiben kann, wie es ist.“

Giuseppe Tomasi di Lampedusa

Ein Angebot an den Globalen Süden,

das nur dann ehrlich sein kann, wenn Schluss ist mit Ausbeutung von Mensch, Umwelt und Ressourcen, Schluss mit Externalisierung der Folgen unseres Konsums und Lebensstils, wenn koloniale und neokoloniale Strukturen verantwortlich aufgearbeitet und beendet werden, z. B. durch einen Schuldenerlass und durch Loss and Damage Fonds, die mehr sind als nur ein Feigenblatt. 

„Unsere westlichen Werte“ sind verlogen, solange sie nicht für alle Menschen gelten. Demokratische Werte müssen global gedacht werden, denn nur so kann Demokratie weltweit wieder an Attraktivität gewinnen.

Ein Leben im Genug 

Ein Abrüsten unserer materiellen Anspruchshaltung, also Suffizienz. Wir dürfen nicht mehr verbrauchen, als uns zusteht, und wir dürfen nichts besitzen, was uns nicht gehört.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) betont, dass Suffizienz als eine Strategie des Genug für eine Stabilisierung der Erde innerhalb planetarer Grenzen unerlässlich und eine Politik der Suffizienz nicht nur möglich, sondern verfassungsrechtlich sogar geboten ist!

Eine konsequente Suffizienzpolitik wäre eine Transformation by Design, not by Desaster. Es würde bedeuten, die notwendige Veränderung unserer Gesellschaft gerecht zu gestalten, anstatt die unausbleiblichen Veränderungen durch die Katastrophen nur zu erleiden.

Und damit komme ich auf die Ausgangs-Frage zurück:

Sind wir noch zu retten?

Ja, sind wir! 

Demokratie lebt von dem Glauben daran, dass es besser werden kann, dass echter gesellschaftlicher Fortschritt (nicht nur technologischer!) hin zu mehr Teilhabe, zu mehr Gerechtigkeit möglich ist.

Wie schön wäre es, wenn man sich erinnerte, dass es die edelste Aufgabe der Politik ist, für Gerechtigkeit zu sorgen?

Wenn man es wagen würde, eine mitreißende, anschlussfähige, begeisternde 

Utopie für ein „Es geht auch anders“

für eine bessere Zukunft zu entwickeln, für ein genügsames und gerechtes Zusammenleben auf diesem Planeten, ein liebevoller Gegenentwurf zu menschenverachtenden und nationalegoistischen Erzählungen, eine Vision einer global gerechten Gesellschaft – dann, aber auch nur dann, besteht Hoffnung!

 Roland Vossebrecker

Demokratisch, praktisch, gut – gelebte Suffizienz

Demokratisch, praktisch, gut – gelebte Suffizienz

Demokratisch, praktisch, gut – gelebte Suffizienz

von Tabea Schünemann

Vielleicht hat der eine oder die andere von euch ja bereits unsere Zusammenfassungen des SRU-Thesenpapiers gelesen und denkt sich jetzt: Ja, Suffizienz, wichtig und richtig, aber was heißt das jetzt bitte konkret?
Wie sollen wir jemals dahin kommen, immerhin irgendwie das ganze System ändern und das noch bei der aktuellen politischen Lage???

Ich will dazu folgendes sagen: 

Erstens: Wie Eckardt von Hirschhausen so schön sagt: Physik bleibt Physik, auch wenn Du sie damals in der Schule abgewählt hast. Soll heißen: Die Einhaltung planetarer Grenzen für unser (Über)Leben auf der Erde durch Suffizienz bleibt notwendig, auch wenn „niemand mehr übers Klima spricht“.  Die Überschwemmungen und Hitzewillen von 2024 bezeugen dies. 

Zweitens: Ich finde die aktuellen Trumpschen usw. Entwicklungen auch furchterregend und den Koalitionsvertrag zum Heulen. Wie kann man so sein? Trotzdem gibt es in mir eine Stimme, die nach dem Heulen dann wütend wird und sagt: Dann jetzt erst recht! Und es stimmt einfach nicht, dass niemand übers Klima spricht, sich darüber Sorgen macht oder die notwendigen Schritte gehen will. Wir müssen uns nur zusammentun. 

Drittens: Genau das passiert gerade mit unserem Suffizienz-Bündnis. Hier kommen Leute zusammen, denen das Thema schon lange oder ganz frisch (wie mir) im Herzen brennt und lodert. Die keine Lust mehr haben auf „Weiter so“ und Politiker*innen, die ihre Arbeit verweigern und uns Versprechen machen, die sie wegen Naturgesetzen nicht halten können. Menschen, die Lust haben auf Veränderung, die sagen: Wir könnten es so schön haben! Und die dann die nötigen Schritte dahin gehen. 

Also, wie kommen wir denn jetzt dahin? 

Zuerst habe ich festgestellt, dass das Wort Suffizienz vielleicht den wenigsten bekannt sein mag, aber es doch viele Beispiele für suffiziente Praktiken gibt, die wir kennen. 

D.h. jedes Mal, wenn Du…

… deinen Laptop zur Reparatur bringst

… dich beim Shoppen fragst, ob du das wirklich brauchst und die Jacke wieder zurückhängst

… von deiner Freundin ein Buch ausleihst

… dieses Buch liest statt Netflix zu schauen 

… auf Flohmärkte gehst

… Alternativen zum Fliegen googelst und benutzt

… du dich durchringst, „mit Hafermilch“ zu sagen

… die matschige Banane zuerst isst 

… du dein Zimmer untervermietest 

 

… ist das gelebte Suffizienz! 

 

Das alles ist ein Teil einer Strategie des Genug. Konkrete Handlungen im Alltag. Und wie immer ist es Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Suffizienz eine Struktur und keine heroischen Einzeltaten ist. 

 

D.h. konkret brauchen wir…

… die Wiedereinführung des Reparaturbonus (wie es ihn z.B. in Sachsen schon gab) 

… Förderung von Tausch- und Leihoptionen 

… eine Kerosinsteuer

… kostenlosen ÖPNV

… Subventionen für pflanzlichen Produkten (statt tierischen)

… eine Regelung gegen Lebensmittelverschwendung in Supermärkten

… eine bessere Nutzung von Wohnraum 

… eine Entwicklung hin zu einer Kreislaufwirtschaft

… Bildungsprogramme zur Suffizienz

… und vor allem ein Ende der Lüge, dass es ohne Veränderung in unserem Leben und Wirtschaften weitergehen kann 

 

Das sind nur einige Vorschläge, aber ihr merkt: Es gibt so viele konkrete Ideen. Wer das bezahlen soll? Vielleicht die, die am meisten Co2 verursachen, oder?

Was mich daran begeistert: Suffizienz beinhaltet damit 

  • Einerseits eine große allumfassende Utopie, ein Träumen von einer Welt, wie sie sein könnte
  • Andererseits konkrete Maßnahmen, die uns diesem Traum näherbringen

Wie immer hängen hier gesellschaftlicher und politischer Wandel zusammen.
Von den politischen Maßnahmen habe ich schon gesprochen. Und die werden wir einfordern, bis wir grün werden:D und zwar wirklich und nicht nur dasselbe in Grün! Grüner Kapitalismus ist wie ein eckiger Kreis: ein Widerspruch in sich. 

Der gesellschaftliche Wandel braucht zum einen das Vorleben all dieser oben angedeuteten Dinge. Jedes Vorleben ist dabei auch eine kritische Anfrage an den Ist-Zustand. Jedes Mal, wenn ich etwas nicht kaufe, obwohl mir durch die Werbung vermittelt wurde, dass ich es brauche, zeige ich, dass das nicht stimmt. Dass ich es nicht brauche. Weil immer noch gilt: Die wichtigsten Dinge im Leben sind keine Dinge. 

Und ich finde es auch schwer. Weil es schwer gemacht wird. Weil wir eine Gesellschaft sind, die in Wachstum denkt und Konsum lebt. 

Unser neuer Slogan ist deswegen ein tolles Zitat von Uta von Winterfeld: 

Niemand soll immer mehr haben wollen müssen. 

Ich will nicht ein bestimmtes Handy haben müssen, um in der Schule nicht gemobbt zu werden. Ich will nicht von meinem nächsten Urlaub erzählen können müssen, um beliebt zu sein. Ich will kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich Freitagabend zuhause sitze, statt immer noch mehr zu erleben. Ich will Pause machen können, so richtig. Ich will, dass ich fürs Pause machen mir nicht erst noch ne teure Yoga-Leggings und Gesichtsmasken kaufen muss. 

Ich will einfach sein. 

Genug sein. 

Genug haben. 

Ich hab doch längst genug. 

Das ist ja das Verrückte: Alles ist genug da auf der Welt, Lebensmittel, Wohnraum, Wasser,… wir haben es nur so verdammt schlecht verteilt. Zeit, es zurückzugeben, was uns nicht gehört.


Zeit, für ein Mehr zu sorgen.
Mehr Menschenwürde.  Mehr Freiheit, mehr Zeit, mehr Liebe, mehr Gerechtigkeit. 

Dunkel wars

Dunkel wars

Dunkel wars

von Tabea Schünemann

Dunkel wars

Das Schild schien helle

Als ein Wagen blitzeschnelle

Langsam um die Ecke fuhr

 

Drinnen saßen stehend Leute

Schweigend ins Gespräch vertieft

Als ne aufgebrachte Meute

System change auf Straßen rief 

 

Vor einer Deutschen Bank,

die grün angestrichen war 

saß ein blonder CDUler

Mit grauem, sehr vereinzelt Haar

 

Neben ihm die grauen Männer

die die Frauen nicht gewählt 

stehn um ihre lieb Verbrenner

sitzend auf nem goldnen Berg 

 

wollen Wachstum ohne Ende 

das das Klima schützen kann 

versprechen Umkehrn ohne Wende 

Menschenwürde für den Mann 

 

Machen Herrschaft ohne Frauen

Volkspartei für ein paar Leute 

Wir wollen da nicht nur zu schauen

Bleiben eine laute Meute