„Wir leben in einem Zeitalter des ‚Empörialismus‘“
Michael Schmidt-Salomon
Empörend ist vieles in der Politik, der Berichterstattung, der Debatte rund ums Klimathema:
- Wie kann es sein, dass man zur 28. Weltklimakonferenz mit Sultan Ahmed Al Jaber einen CEO der weltweit zwölftgrößten Ölgesellschaft zum Vorsitzenden ernennt? Das ist, als würde man Al Capone zum Präsidenten einer Konferenz gegen das organisierte Verbrechen ernennen.
- Wieso werden Klimaaktivist*innen beleidigt und als Terrorist*innen diffamiert, während die wahren Klimaverbrecher ungestraft weiter das Klima ruinieren und ihre Lügen verbreiten dürfen?
- Wiese darf die Bundesregierung, insbesondere das Verkehrs- und das Bauministerium, die eigenen Gesetze missachten und sich weigern, Sofortprogramme vorzulegen, um die selbstgesteckten Ziele einzuhalten?
- Wie unfassbar ungerecht ist es, dass Reiche und Superreiche mit ihrem maßlosen Lebensstil die Zukunft aller in Gefahr bringen, und wie dreist, verlogen und eben empörend sind ihre Rechtfertigungen dafür! klimareporter
Um nur einige Beispiele zu nennen, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
In diesen und in vielen anderen Fällen ist Empörung berechtigt, ja zwingend, -wenn sie denn richtig genutzt wird! Denn Empörung ist eine zweischneidige Angelegenheit. Sie stellt sich oft reflexhaft ein und kreist gerne um sich selbst.
„Blasenentzündung“
Deutlich wird das besonders in sozialen Netzwerken. Dort kann man seiner Empörung freien Lauf lassen, sich die Empörung von der Seele schimpfen, und erntet dort in der eigenen Bubble/Blase schnell viel Zustimmung. Geteilte Empörung ist doppelte Freude! Allerdings erreicht man damit nicht viel mehr als eine „Blasenentzündung“, und die sollte man nicht mit Aktivismus verwechseln.
Denn die, über die man sich dort empört, bekommen in der Regel von alledem gar nichts mit. Zielführender ist es, die berechtigte Empörung zu kanalisieren und richtig zu adressieren. So ist es ja ein Leichtes, z. B. Politiker*innen per Mail mitzuteilen, wie empörend man die eine oder andere Äußerung oder Entscheidung findet. Nicht, dass daraufhin z. B. ein Hubert Aiwanger oder Friedrich Merz ihre Meinung ändern und zu engagierten Klimaschützern mutieren würden. Aber wir haben das Recht auf freier Meinungsäußerung und sollten dieses auch nutzen, und sei es nur, um den gegenwärtigen Trends verlogener und egoistischer Narrative etwas entgegenzusetzen. Es wäre schon sehr wertvoll, wenn Politiker*innen für Empörendes deutlich einen gesellschaftlichen Gegenwind verspüren würden.
Vom Reflex zur Reflektion
Die Empörung hält aber noch einen anderen Fallstrick parat. Denn man empört sich naturgemäß immer über die anderen. Die sind ja bekanntlich immer schuld. Dabei bleibt eine selbstkritische Reflektion gerne mal auf der Strecke. Zwei Beispiele:
Der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Sabhar, Bangladesch am 24. April 2013 mit 1135 Toten hatte weltweite Empörung ausgelöst, über die Baumängel, die sklavenartigen Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen, über die gewissenlose Fast-Fashion-Industrie. All das ist mehr als berechtigt – wenn sich eine Reflektion über den eigenen Kleiderschrank und ein geändertes Konsumverhalten anschließt. Denn die Frage muss man sich gefallen lassen: Inwiefern unterstützen wir als Konsument*innen eben genau diese Missstände?
Einer Studie von Oxfam zufolge verantwortet das reichste 1 % der Weltbevölkerung etwa doppelt so viele CO2-Emmissionen wie die ärmere Hälfte. Der Reflex auf diese Tatsache ist maximale Empörung, und das vollkommen berechtigt – wenn man sich überlegt, ob man selbst nicht vielleicht zu den reichsten 10 % der Weltbevölkerung gehört! Deren CO2-Anteil ist nämlich etwa so groß wie jener der restlichen 90 %. Was also ist mein eigener Anteil, und ist er global gerecht? Und bin ich bereit, daran etwas zu ändern, um zu mehr Gerechtigkeit beizutragen?
Konstruktive Empörung braucht also zweierlei:
Selbstkritik. Die größten und unmittelbarsten Veränderungen können wir bei uns selbst bewirken. Mit einer selbstkritischer Haltung dürfen, ja müssen wir uns empören über jede Form der Ungerechtigkeit sein und daraus die Kraft gewinnen, aktiv zu werden.
Zielgerichteter Aktivismus, ohne den man sich in fruchtlose Debatten verliert, in ein Stammtischlern über „die da oben“ und ins „man müsste mal“, vor allem aber in „die anderen müssten mal“.
Wer es aushält, mag sich mal dieses Video anschauen, aber ich warne: Es ist wirklich schwer erträglich.
youtube
Mein Kommentar dazu:
Empörend? Ja, maximal verstörend und empörend!
Aber Empörung allein bringt nichts. So bleibt man nur in der Haltung, dass man selbst nichts tun müsse. Sollen erst mal die Reichen anfangen. WAS SIE NICHT TUN WERDEN!
Ich hätte mir gewünscht, dass das Video mit einem Appell endet, einem eindringlichen Appell an uns ALLE:
Lasst und verantwortungsvoll leben. Lasst uns unsere CO2-Emissionen reduzieren, WO IMMER WIR KÖNNEN. Lasst uns unsren Konsum reduzieren, WO IMMER WIR KÖNNEN. Beteiligen wir uns nicht mehr an Ausbeutung von Mensch und Umwelt. Teilen wir unseren Reichtum, mit jenen, die am schlimmsten von der Klimakatastrophe betroffen sind.
Und werden wir laut, aktiv, politisch engagiert!
Gestalten wir eine klimaGerechte Gesellschaft, INDEM WIR SIE VORLEBEN! Erst dann werden SUVs, Kreuzfahrten, Privatjets etc. keine Statussymbole mehr sein, sondern verachtenswerte, verantwortungslose Peinlichkeiten.
Roland Vossebrecker
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