Warum Aktivismus?

Warum Aktivismus?

Warum Aktivismus? 

Mein persönlicher Weg zur Klimagerechtigkeit

von Tabea Schünemann

Ich möchte Euch hier erzählen, wie ich (neu) zum Einsatz für Klimagerechtigkeit gefunden habe. Was meine persönliche Geschichte damit ist. 

Ausgangspunkt war meine intensive Auseinandersetzung mit Auschwitz und den Verbrechen des Holocaust. 

Bei allem, was ich jetzt äußern werde, sei vorab gesagt, dass ich damit in keinster Weise den Holocaust relativieren möchte. Es soll darum gehen, was Auschwitz mit mir und uns heute zu tun hat und dabei fokussiere ich mich auf einen Aspekt neben anderen, die ebenso wichtig sind. 

Es ist wichtig, weiter an einer guten Erinnerungskultur zu arbeiten. Auch meine Generation muss sich mit einer vererbten Schuld auseinandersetzen, selbst wenn es sich unfair anfühlt. Um sprachfähig zu sein. Um mutig gegen Antisemitismus und alle anderen Formen von Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit vorzugehen. Denn wir wissen, wozu es im Extremen führen kann. Deswegen geht es für mich persönlich weniger um eine Schuld- sondern um eine Verantwortungs-Frage. „Nie wieder Auschwitz“ heißt: Wir haben aus der Geschichte gelernt. Wir ersticken Hass im Keim. Wir lassen nicht zu, dass sich Hass als „Sorge“ getarnt im normalen Sprachgebrauch und gesellschaftlichen Umgang etabliert. 

Doch „Nie wieder Auschwitz“ hat für mich noch einen anderen Aspekt. Verständlicherweise kommt in der Beschäftigung mit dem Holocaust irgendwann die Frage auf: Wie konnte es soweit kommen? Immer wieder habe ich mich auch gefragt: Was hätte ich getan? Wie hätte ich mich verhalten?  

Eine mühsame Frage, da sowieso nicht zu beantworten. Mittlerweile halte ich das auch nicht mehr für entscheidend. Sondern: Was tue ich jetzt, heute, hier? Bei welcher menschenverursachten Katastrophe schaue ich bewusst weg? Wo lasse ich das Leid anderer Menschen nicht an mich heran, weil es weit weg ist und mich (noch) nicht direkt betrifft? Wo könnten mich meine Enkel*innen in 70 Jahren fragen: Warum hast du nichts getan? Wo warst du? Du hast es doch gewusst! 

Und mit „es“ meine ich in diesem Fall die Klimakatastrophe und damit zusammenhängende Ungerechtigkeit. Sie ist schon lange kein Geheimnis mehr. Doch wir Menschen sind sehr gut im bewussten Wegschauen. Auf politischer, wie auf persönlicher Ebene – und es bräuchte die Zusammenarbeit von beiden! – haben wir alle Weckrufe verschlafen. 

“I want you to panic!“

Und wir? Achselzucken, Ausreden („ich kaufe doch nur noch Biofleisch“), Kleinreden der eigenen Handlungsmöglichkeiten („ich kann sowieso nichts bewirken“) oder lähmende Hoffnungslosigkeit („es ist doch sowieso schon zu spät“).  

 

Dabei verlieren wir aus dem Blick, dass es um Menschen geht, die die Konsequenzen unseres Tuns und Lassens tragen müssen. Uns fehlt das Mitgefühl, da wir den Leidtragenden in einer globalen Welt nicht immer direkt in die Augen schauen müssen. 

Auch im Hass gegenüber Jüd*innen war (und ist) deren Entmenschlichung ein wichtiger Punkt. Hier wurde Mitgefühl systematisch abtrainiert. Wer kein Mensch ist, hat auch keine Menschenrechte. Ich halte das für eine wichtige Lektion aus dem Holocaust: „Nie wieder Auschwitz“ heißt für mich auch: „Nie wieder Entmenschlichung“. 

Natürlich ist unsere Situation heute nicht mit Nazi-Deutschland vor 80 Jahren gleichzusetzen. Wir leben in einer freien Demokratie, die zwar strukturelle Probleme hat, aber nicht systematisch die Vernichtung von Menschen durchführt. Dennoch: Um zum klimagerechten Leben zu motivieren, sollte die Erkenntnis helfen, dass es sich bei den Opfern der Klimakatastrophe um Menschen handelt. Echte Menschen mit Namen, Träumen, Wünschen, schönen und schrecklichen Momenten und einem Lebenswillen, eben mit Menschenrechten. Wir leben auf Kosten von echten Menschen, auch deren Würde sollte unantastbar sein. Sie sind keine abstrakten Zahlen, auch wenn sie uns oft in dieser Form begegnen. 

Auch Gleichgültigkeit ist eine Form von Handeln. Niemand kann sich nicht zu dieser Katastrophe verhalten. Es geht nicht darum, allein die ganze Welt retten zu müssen. Aber ich möchte ohne schlechtes Gewissen in den Spiegel schauen können. Ich möchte am Ende meines Lebens mir selbst und meinen Enkel*innen sagen können: Ich habe alles versucht. 

In diesem Sinne hilft mir die Einladung der Initiative KlimaGerecht Leben, wieder Ernst zu machen mit diesem Thema, und mit einer konsequenten Haltung Teil der Lösung zu sein. Gemeinsam mit anderen und für andere. 

Darum ist meine Greta-Frage: Wie hast du`s mit dem Klima?

 

Tabea Schünemann

Lützi lebt – weiter! ein Nachruf

Lützi lebt – weiter! ein Nachruf

Lützi lebt – weiter!   ein Nachruf

von Tabea Schünemann und Julia Schünemann

Lützerath ist geräumt, der Kampf gegen die Kohle scheinbar verloren. Einige Wochen nach der Großdemonstration sitzen wir zuhause und fragen uns: Lützerath – was bleibt? War das jetzt alles umsonst? Hätte ich mir die schlammigste Demonstration meines Lebens sparen können?  Konnte sich nicht mal das kleine Dorf in Gallien, äh NRW, den mächtigen Römern, äh RWE, entgegenstellen? Stirbt mit Lützerath nicht nur das 1,5 Grad-Ziel, sondern auch die Hoffnung? 

Jeder Frust, jede Resignation ist völlig nachvollziehbar. Für mich persönlich ist das jedoch keine Option. Ich möchte trotzig hoffnungsvoll bleiben. Also, was bleibt?

Zum einen eine Erfahrung von Demokratie. “This is, what democracy looks like!”
Ja! So viele Menschen haben deutlich gemacht: Es ist ihnen nicht egal, was mit der Welt passiert. Es wurde Solidarität gezeigt.
Mit den Menschen, die sich schon seit Wochen, Monaten und Jahren dafür eingesetzt haben und mit den Menschen, die insgesamt am meisten unter der Klimakrise leiden. Greta Thunberg und andere stellten dieses kleine Dorf in den Zusammenhang der globalen Klimabewegung. Es war klar: Hier geht es auch, aber nicht nur um ein konkretes Dorf.

Lützerath hat sich getraut, Grundsatzfragen aufzuwerfen:
Wie soll deutsche Klimapolitik aussehen?
Welchen Weg wollen wir gehen?
Von welcher Welt träumen wir?

Geht es um das Geld oder die Menschen? Die Aktivist*innen haben gezeigt: Sie sind nicht einverstanden mit dem bisherigen Weg und es ist Zeit für ein Umdenken. In Lützerath kam das ganze Dilemma deutscher Klimapolitik zusammen: Die Macht des Lobbyismus, eine unbegründete Sorge um Energieversorgung, die Priorisierung des eigenen Wohlstands, „Realpolitik“ vs. die Kompromisslosigkeit und Dringlichkeit der Klimakrise und ein aggressiver Umgang mit denen, die die nötigen Schritte einfordern. Aber es ist möglich, sie einzufordern. Ein passives Ertragen aller Entscheidungen ist keine Option. Und es sind viele, denen das alles nicht egal ist.
Wir sind nicht alleine mit unserem Engagement, wir können uns vernetzen und an anderen Stellen weitermachen. Was ja auch schon geschieht.
Wir alle sind Teil der Demokratie und es geht darum, sie wieder mehr mitzugestalten. Das ist unser Recht und unsere Pflicht.
Lützi lebt weiter, solange wir seinen Geist weiterleben lassen. 

Tabea Schünemann

 

Was außerdem von Lützi bleibt: Erfahrungen, die nicht vergessen werden und der Traum von einer besseren Welt.

Denn Lützi war ein Ort der Hoffnung, des Umdenkens und der Veränderung. Festgefahrene, gesellschaftliche Strukturen wurden auf den Kopf gestellt und die eigenen Lebensweisen hinterfragt. Eine Person, die zu der Zeit des Widerstands dort quasi Vollzeit gelebt hat, meinte einmal zu mir, sie lebe so gerne in Lützi, weil sie dort ein Leben mit den wenigsten Widersprüchen führen kann. 

Und das habe ich auch so erlebt: Hier ging es wirklich um die Menschen, die sich für sich und ihre Umwelt einsetzen. Das selbstorganisierte Leben sollte kapitalistische Muster von Konkurrenz und Profit ersetzen und unserer Konsumgesellschaft eine Alternative bieten.
Und das hat sich auch im alltäglichen Leben widergespiegelt. Die Gemeinschaft war unglaublich stark. Es wurde sehr viel Wert auf Offenheit, „Awareness“, also Achtsamkeit, Reflexion, Selbstbestimmung und Freiheit gelegt, ganz nach dem Motto „alles kann, nichts muss.“ Jeder Mensch durfte sich einbringen, wo er wollte und auch die allgemeinen Aufgaben, die anfielen, wurden gemeinschaftliche getragen. Durch die solidarische Grundeinstellung waren alle sehr hilfsbereit und auch die weniger angenehmen Punkte auf der Agenda (z.B. der Kloputz oder das Abspülen) wurden immer übernommen. Es war für mich auch eine tolle Erfahrung, ganz praktisch mit anzupacken und z. B. in der „KüfA“, der „Küche für Alle“, für mehrere hundert Personen Gemüse zu schnibbeln oder an den Baumhäusern weiterzubauen.
Ein Spruch, der mir da besonders im Kopf geblieben ist, lautet: „Bau auf, was dich aufbaut!“ Was für eine Einstellung!

Aber vor allem galt natürlich „Lützi Lebt“, also Lützerath lebendig zu machen!
Lagerfeuer mit Musik, Partys, Konzerte, Film- und Themenabende, lange Gespräche oder gemeinsames Kaffeetrinken an der Kante des Kohletagebaus waren an der Tagesordnung und haben das Leben geprägt. Das hat Lützerath auch zu so einem besonderen Ort gemacht: Hier wurde das Leben gefeiert und man hat erlebt, dass man nicht viel braucht, um ein Leben in Fülle und mit Qualität zu führen.

Und was bleibt davon?

Der gemeinsame Kampf für Gerechtigkeit und Veränderung geht weiter, auch bei jeder und jedem einzelnen von uns.
Lützi hat gezeigt, dass wir jeden Tag ein Stück weit die Wahl haben, wie wir leben wollen – auch in dem System, in dem wir leben.
Wir sind dazu angehalten, häufiger unsere Lebensweise zu hinterfragen, uns über Klimagerechtigkeit auszutauschen, und uns nicht davor zu scheuen, konkrete Veränderungen in unserem Leben zu schaffen und auf gesellschaftlicher und politischer Ebene zu fordern. 

Solidarität statt Egoismus, Toleranz statt Ignoranz, Engagement statt Gleichgültigkeit, Entschlossenheit statt Angst.

Lützi lebt weiter!

Julia Schünemann