Die Zeit der Verluste

Die Zeit der Verluste

Die Zeit der Verluste

 

Tabea Schünemann

Ich sitze im Zug und lese über das, was Daniel Schreiber unsere „Zeit der Verluste“ nennt. In der Bahnhofsbuchhandlung hatte dieses Buch mich förmlich angesprungen. Denn das ist das, was mein Leben im Moment oft bezeichnet: Unterwegssein und in Bahnhofsbuchhandlungen Trost für mein unstetiges Leben suchen. Diese Mal also in einem Buch mit buntem Umschlag und wenigen Seiten, die aber auf treffende Weise dem Ausdruck verleihen, was ich nicht ausdrücken kann. Dem Worte geben, für das es keine Worte gibt. Einen Umgang mit Gefühlen, für die wir keinen Umgang haben: Trauer und Verlust.

Wir alle verlieren die ganze Zeit irgendetwas.

Zur Zeit: Meine Oma ihre Erinnerungen, ihre Orientierung, ihre Selbstbestimmtheit. Mein Vater seine selbstbestimmte Mutter. Ich einen Vater, der scheinbar durch nichts zu erschüttern war. Unsere Gesellschaft ihr Gefühl von Sicherheit und Unverletzbarkeit. Der Mensch sein Gefühl des Unberührtseins von der Natur. Wir erfahren, dass Werte wie Frieden und Demokratie angreifbar sind und die Würde des Menschen sehr wohl antastbar. Wir verlieren das Gefühl, von dem allen nicht angetastet zu sein. Die junge Generation verliert das, von dem wir dachten, dass es Jungsein ausmacht: Leichtigkeit und das Gefühl, unsterblich und unbesiegbar zu sein. Die anderen Generationen verlieren ihre Gewissheit, nicht alles, aber es doch für uns besser gemacht zu haben. Wir verlieren die Erzählung von Fortschritt und endlosem Wachstum. Davon, dass immer alles besser wird und es nur einen Weg gibt: den nach oben. Wir erfahren unsere Begrenzungen. Ich verliere die Gewissheit, alles kontrollieren zu können, wenn ich mich nur genug anstrenge. Ich verliere Vorstellungen von meinem Leben und mir selbst. Ich verliere Menschen und Orte, von denen ich dachte, dass sie für immer oder noch lange zu mir gehören würden.

Das alles tut verdammt weh. Ich glaube, das ist meine Botschaft hier, wenn ich überhaupt eine habe: Veränderungen geht nicht ohne Verlust und Schmerz. Ich verstehe, dass niemand auf etwas verzichten will. Dass man unangenehmen Dingen aus dem Weg gehen will, weil sie, nun ja, unangenehm sind. Aber wenn wir gesellschaftliche Veränderung hin zu einem klimagerechten Leben wollen, müssen wir vielleicht wie eine Ärztin bei der Impfung zugeben: Das wird jetzt kurz wehtun. Wir werden Dinge verlieren und aufgeben müssen. Zum Beispiel: Das Ideal eines guten Lebens, das sich dadurch zeigt, möglichst viel von der Welt gesehen zu haben. Oder möglichst viel zu besitzen. Einen Freiheitsbegriff, der Freiheit so versteht, immer alles machen und bekommen zu können. Das Gefühl, uns das alles ja verdient zu haben.

Gleichzeitig gibt es innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung einen Teil, der das betont, was wir gewinnen können. Oder auch, worauf wir jetzt schon verzichten. Und: worauf andere die ganze Zeit schon verzichten, damit wir es so gut haben, wie wir es haben. Dass dieser Wohlstand hier nur durch den „Übelstand“ dort überhaupt zu erreichen und zu halten ist. 

Was wir gewinnen können: Gesundheit, Gerechtigkeit, Selbstwirksamkeit, Gemeinschaft, Freiheit von Stress, Angst und Leistungsdruck, Städte, die für uns gebaut sind, kurz: Luft zum Atmen, wörtlich und metaphorisch.

Trotzdem finde ich es wichtig, das Gefühl von Verlust, das sich bei alldem erst einmal einstellt, nicht direkt wegwischen zu wollen.
Menschen zuzuhören und ihre Verlustängste ernst zunehmen ohne, dass man dadurch aufhört, Klimagerechtigkeit zu fordern und zu leben.
Das wünsche ich mir von der Politik und von uns allen.

Tabea Schünemann

 

Drei bittere Wahrheiten zur Klima-Anpassung

Drei bittere Wahrheiten zur Klima-Anpassung

Drei bittere Wahrheiten zur Klima-Anpassung

 

Roland Vossebrecker

Da in absehbarer Zeit die 1,5°-Grad-Grenze überschritten werden wird, macht ein neuer Begriff in der Klimadebatte die Runde: Anpassung.

Dazu drei bittere Wahrheiten:

Klima-Anpassung ist nötig

Keine Frage, natürlich ist sie nötig. Staaten und Regierungen sind in der Verantwortung, ihre Bürger*innen zu schützen, auch gegen die Folgen des Klimawandels. Städte müssen gegen Hitze gewappnet werden, mit Grünanlagen, mit öffentlichen Kühlräumen und Trinkwasser-Spendern. Dämme müssen gegen steigende Meeresspiegel erhöht werden, Wälder durch andere und diversere Baumarten resilient gemacht werden u.v.a.m.

Die heraufziehende Gefahr sollte man nicht unterschätzen, denn die Katastrophen werden kommen, immer häufiger, immer heftiger. Eine vorsorgende Risiko-Planung ist da unabdingbar. Und das wird richtig teuer!

Klima-Anpassung ist das Eingestehen des Scheiterns

Denn die Anpassung an die neue Klimarealität ist nötig, weil die Menschheit beim Verhindern des Klimawandels versagt hat. Die nun für die Anpassung notwendigen finanziellen Mittel wären für die Verhinderung der Klimakatastrophe besser investiert gewesen. Was bleibt ist, mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln die Katastrophe einzudämmen. Es bleibt, um jedes Zehntel, um jedes Hundertstel Grad zu kämpfen.

Denn immer noch gilt: Die Vermeidung des Schlimmsten ist viel günstiger als die Katastrophe selbst. Und diese wird nicht nur in € und $ bezahlt, sondern mit Menschenleben.

Klima-Anpassung ist ungerecht

Während Deutschland es sich leisten kann (bei allen aktuellen haushaltspolitischen Engpässen) in Klimaanpassung und in die Beseitigung der Schäden zu investieren, haben die meisten Länder des Globalen Südens diese Möglichkeiten nicht, obwohl sie noch viel heftiger von den Katastrophen betroffen sind. Wie soll Somalia auf die verheerenden Fluten reagieren, die das arme Land nach Jahren einer verheerenden Dürre trafen? Was kann ein Bürgerkriegsland wie Libyen ausrichten nach einem Sturm, der im September ca. 20.000 Menschenleben forderte und die Stadt Darna fast vollständig verwüstete? Und wer redet überhaupt noch über diese Ereignisse – und wer hilft?

So bitter nötig, wie die Klima-Anpassung auch ist: Sie vergrößert globale Ungerechtigkeiten ins Unerträgliche.

 

Da bleibt die Frage: Wie passen wir, Du und ich, uns an?

Einmal mehr sollten wir uns bewusst machen, in was für einer privilegierten Situation wir leben. Die Bedrohungen sind für uns (noch!) relativ moderat. Von Hungersnöten oder Hurrikans sind wir nicht bedroht. Aber wir sollten sensibel sein, besonders in Hitzewellen und Extremwetter-Ereignissen und den besonders empfindlichen und verletzlichen Menschen beistehen.

An die Politik gerichtet muss die Forderung lauten, gemäß dem Verursacher-Prinzip die betroffenen Ländern des Globalen Südens zu unterstützen. Das ist keine Frage von Wohltätigkeit, sondern von Fairness.

Und wie immer sollten wir das, was wir fordern auch leben: Wir müssen immer wieder unsere Fähigkeit zur Solidarität schärfen und unseren Wohlstand mit jenen teilen, die tödlich bedroht sind und sich Anpassung nicht leisten können.

Roland Vossebrecker