Er-schöpft, SIE-SCHÖPFT

Er-schöpft, SIE-SCHÖPFT

 

Er-schöpft, sie-schöpft

von Tabea Schünemann

Warum ist es cool, krank zur Arbeit zu gehen? 

 

Wie geht’s dir?, fragst du. 

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich habe lange nicht mehr ausführlich in mich hinein gespürt. Ich liebe alles, was ich tue, aber ich rede auch zu viel darüber, was ich tue und weniger darüber, wie ich mich fühle. Ich bin Aktivistin und Studentin und Autorin und sehr stolz darauf. Aber wenn ich mich so definiere, wer bin ich dann noch, wenn ich mal nicht aktiv bin oder studiere oder schreibe?

Das ist, was ich denke.

Was ich sage, ist: Ja, ganz gut, viel los grad. Und dir?

Auch. 

 

„Wie geht’s dir?“ ist die politischste Frage, die ich kenne. 

Das ist die Frage, mit der wir vielleicht anfangen können und sollten. 

Wie geht’s dir in diesem System? Wie geht’s dir auf der Arbeit? In deinen Beziehungen? In deinem Körper?

Die Antwort von Studien und in meinem persönlichen Umfeld sowie meinem eigenen Leben lautet viel zu oft: Wenn ich ehrlich bin: Ich bin erschöpft. Ich hab zu wenig Zeit. Ich freue mich aufs Wochenende. Noch diese eine Sache erledigen und dann wird es ruhiger. Ja genau.

Und diese Antwort ist sehr politisch. Wenn wir merken: das geht nicht nur mir so, sondern dir ja auch. Dann wird daraus eine Systemfrage. 

Dann merken wir: Unser System ist auf Erschöpfung angelegt. 

Weil es aus uns schöpft. Unserem Körper, unserem Geist, unseren Fähigkeiten, unserer Zeit, unserer Energie. Weil es alles aus uns rausholen will. Uns er-schöpft. Und die Natur auch. Wir machen die Natur nutzbar, bebaubar, bewirtschaftbar. Und unsere Körper arbeitsfähig durch Care-Arbeit, durch Erziehung, Pflege, Sorge. Die Risiken und Nebenwirkungen werden dabei ausgelagert, knallen uns aber in Form von Naturkatastrophen und Burn-out wieder entgegen, bevor wir überhaupt eine Ärztin oder einen Apotheker fragen konnten.

„Immer mehr“ ist der Grundton, die Ausrichtung, die DNA unseres Wirtschaftssystems. 

Die Grundfrage ist nicht: Was müssen wir produzieren, damit alle grundversorgt sind?

Die Frage ist: Wie lässt sich am meisten Profit machen?

Und das führt leider nicht automatisch zu unserer Grundversorgung. 

Das führt zur Erschöpfung. Ich möchte gerne arbeiten, Sinn erleben, mich ausleben und entwickeln. Ich will aber nicht, dass mein Wert als Mensch davon abhängt und dass wir mit dieser „immer mehr“ Strategie uns und unser Zuhause zerstören. 

Wir als Klimaaktivist*innen und Wissenschaftler*innen, die Suffizienz als Strategie des Genug fordern, sagen genau das: Es reicht! Wir haben Grenzen und die Erde auch und die gilt es zu respektieren. Und wenn mit dieser Art zu wirtschaften nicht geht, dann ändern wir die Art zu wirtschaften! Und trainieren uns nicht weiter darauf, es doch irgendwie möglich zu machen. Mit der nächsten Fitnessstudio-Mitgliedschaft, dem nächsten Yoga-retreat oder dem nächsten Selbst-optimierungs-Buch. 

Ich will das alles so nicht mehr. 

Ich will meinen Tag nicht mehr daran messen, was ich „geschafft“ habe. Denn dieses geschafft bezieht sich meistens auf meine Leistung und nicht darauf, ob ich heute besonders intensiv gelebt habe, ein tolles Gespräch hatte oder mich endlich mal getraut habe, zu weinen. 

Ich will meine Freund*innenschaften nicht danach aussuchen, was sie mir bringen. 

Ich will mich nicht schlecht fühlen, wenn ich krank bin. Ich will nicht, dass es cool, krank zur Arbeit zu gehen. Ich will nicht, dass es als besonders männlich gilt, krank zur Arbeit zu gehen. Oder als weiblich, sich „aus Liebe“ ausbeuten zu lassen. 

Ich will keine Angst vor dem Alter haben, wenn ich vielleicht auch Demenz bekomme, weil ich dann vermeintlich nichts mehr kann. 

Letztens habe ich erst richtig verstanden, was Ableismus heißt. Es geht nicht nur um Diskriminierung von Menschen aufgrund einer Behinderung. Es geht darum, Menschen grundsätzlich Wert anhand von Fähigkeiten beizumessen (oder eben auch nicht). 

Das ist das, wie unsere Gesellschaft grundsätzlich funktioniert. 

Allein, weil ich hier das Wort „funktioniert“ benutze. Unsere ganze Sprache ist durchtränkt von Wirtschafts-Worten, die längst Einzug in unser Denken, Fühlen, Sprechen und sogar Lieben gefunden haben. Da geht es ums Investieren, um sich-lohnen, um sich-steigern, um produktiv, und letztlich eine Unterteilung von nützlichen und unnützlichen Menschen. Wohin uns das gebracht hat, daran haben wir am 9. November gedacht.  

Es ist überall: Wir tracken unsere Schritte, haben Sex mit Ziel und beten zu einem allmächtigen Herrn. 

Das ist „internalized capitalism“.

Und das ist kein Vorwurf. Das ist erstmal betrauernswert. Aber kann auch der Ort der gemeinsamen Wirkmacht sein. Denn es geht uns allen so. Die Erschöpfung ist ungleich verteilt, aber sie ist geteiltes Leid. Wenn wir uns nicht mehr einzeln selbst dafür die Schuld geben, dass wir uns so fühlen, sondern das als Systemfehler begreifen, ist das ein riesiger Schritt in Richtung Suffizienz und damit in Richtung unser aller Überlebens. 

Also: Her mit der heiligen „Nutzlosigkeit“, dem eigensinnigen Trödeln, dem krank-zu-hause-bleiben, dem Nein-akzeptieren, dem „wie geht’s dir?“ statt „was machst du?“ Smalltalk, dem einfach-nur-so, dem sich-verquatschen, dem Tagträumen und Kunst-machen, einfach weil es Spaß macht. 

Rest is resistance! In diesem Sinne: einen schönen Sonntag euch! 

Weniger ist Fair

Weniger ist Fair

Weniger ist Fair

von Tabea Schünemann

Man könnte das auch umdrehen: Immer mehr ist gar nicht fair!

Immer mehr ist aber die Grundlage unseres Wirtschaftssystems. 

Die physikalische Wahrheit ist: Das ist nicht zukunftsfähig. Und auch gegenwärtig schon ungerecht. Unsere Wirtschaft macht die Reichen reicher, die Armen ärmer. Das Einzige, was zuverlässig wächst, ist der Spalt in der Gesellschaft. 

Und: Unser Planet hat Grenzen und wir haben die meisten schon überschritten. 

Das ist nicht blöd fürs Klima, das ist brandgefährlich für uns! Schreibe ich bei 36 Grad. Und es wird noch heißer. Und wir deshalb nie wieder leiser! 

 

Oft drehen sich Diskussionen um das böse Wort Verzicht. 

Ich frag mich dann: Leben wir denn schon wirklich in der besten aller möglichen Welten? 

Anders gefragt: Worauf verzichten wir aktuell?

Ich schreibe diese Zeilen in einem gottlos verspäteten, viel zu teuren Zug. Wir verzichten also gerade auf die Möglichkeit, so von A nach B zu kommen, dass

  1. Es stressfreie und bezahlbare Alternativen zum Auto gibt
  2. Alle daran teilhaben können
  3. Kinder in der Stadt frei spielen können 
  4. Wir sicher in der Stadt unterwegs sind 

Dann fahre ich nachhause, in mein Dachgeschoss-WG-Zimmer. Immerhin habe ich ein Zimmer, auch wenn die Hitze sich darin staut wie die Zettel auf meinem Schreibtisch. Das geht nicht allen so. Das mit dem bezahlbaren Wohnraum. 

Wir verzichten also darauf, so zu wohnen, dass

  1. für alle genug Platz ist
  2. es für alle bezahlbar ist 
  3. wir darin vor Hitze und Kälte geschützt sind 

 

Jetzt noch schnell einkaufen, uff, auch das ist meistens weder gut noch günstig.

Wir verzichten also darauf, uns so zu ernähren, dass

  1. gesunde Ernährung für alle möglich ist
  2. es gesund für uns und den Planeten ist
  3. wir es wertschätzen und nicht Geld in die Tonne werfen in Form von verschimmeltem Brot
  4. wir die Herstellung fair bezahlen 

All diese Probleme könnten auch durch eine Umstrukturierung der Arbeit gelöst werden. Denn mit einem bedingungslosen Grundeinkommen oder zumindest fairen Löhnen für wirklich sinnvolle Arbeit, könnten wir die Arbeitszeit verkürzen und hätten mehr Zeit, um uns zu kümmern:
um uns, unsere Liebsten und unsere Umwelt. 

Wir verzichten auf Qualität! Auf das, was uns wirklich wichtig ist. 

Wir haben zu wenig von: Zeit, Gesundheit, Zufriedenheit, einer sicheren Zukunft und einem guten Gewissen den Marginalisierten der Gegenwart gegenüber. 

So viele Menschen verzichten auf das Mindeste, damit wir „uns mal was gönnen können“. Es sind nur 11% der Menschen weltweit, die überhaupt fliegen. Woher nehmen wir dieses Recht? Aus unserer Hautfarbe oder unserer Nationalität? Bei dem Gedanken wird mir schlecht. 

Die Antwort ist:
Weniger von dem Quatschkonsum, mehr Grenzen für die größten Zerstörer, mehr von dem Guten! 

Auf den Weg dahin müssen wir uns natürlich gemeinsam einigen. Ich will ja gerade nicht, dass ein paar Wenige alles bestimmen. 

Und: unser brennender Planet seufzt, ächzt und schreit:
Wie wollt ihr eigentlich leben?
Oder nein: Wollt ihr eigentlich leben? 

36°

36°

36 GRAD

von Tabea Schünemann

36 Grad und es wird noch heißer

Und wir deshalb nie wieder leiser

Denn das Ganze ist, ums runterzubrechen 

Ein vermeidbares Menschheitsverbrechen 

 

Es sind einige wenige, und das Muster erkenn ich 

Denn ja, sie sind meistens weiß, reich, alt und männlich 

Die für ihren eignen verdammten Gewinn 

Alles zerstören und wir nehmens hin 

 

weil sie gut darin sind und sich verbandeln 

den Ruf von alle dem zu verschandeln, 

was wichtig ist für unser Leben 

und ja, so viel Gutes könnte es geben!

 

In diesem Leben in Freiheit und Frieden 

In Sicherheit und gleich-und-verschieden 

 

Und wieder und wieder werden wirs sagen

Und wieder und wieder werden wir klagen

Und wieder und wieder werden wirs zeigen

Und wieder und wieder aufhörn zu schweigen 

 

Denn das Gute ist, wer hätte´s gedacht: 

Auch unser System ist menschengemacht 

Waste Side Story und andere Geschichten

Waste Side Story und andere Geschichten

Waste Side Story und andere Geschichten

von Tabea Schünemann

Sechs Kilometer entfernt von Cluj-Napoca, der zweitgrößten Stadt Rumäniens, liegt Pata Rât, eine große Mülldeponie. Hier leben inzwischen in vier informellen Siedlungen ca. 1500 Menschen der Roma-Community zu unmenschlichen Bedingungen. Luft und Wasser sind von Müll und Chemikalien verschmutzt, was zu hohen gesundheitlichen Gefährdungen der Menschen führt. Abgeschnitten vom Rest der Welt, ohne Zugang zur Bildung oder Infrastruktur. Im Jahr 2010 wurden 270 Rom*nja aus Cluj dorthin zwangsumgesiedelt als „Sozialwohnungs-Projekt“ für die Errichtung anderer städtischer Gebäude, u.a. für den Tourismus (!). Sie leben in prekären Situationen, ihre Jobs in der Stadt gibt´s nicht mehr. Eine Frau erinnert sich an diesen schrecklichen Morgen: 

 

“We were overwhelmed and terrified by the number of police officers. Following pressure and verbal threats from the local authorities, we accepted the housing they proposed without knowing the exact location and the condition it was in.”

 

Diese Geschichte von Gewalt und Klimarassismus, die nicht die einzige aus Rumänien und Europa ist, wird erzählt in der modernen Oper “Waste Side Story“ in Cluj. Eindrücklich schildert sie die Situation der Menschen, die sich bis heute trotz Urteilen und Versprechungen des Landes nicht wirklich geändert hat. 

 

Warum erzähle ich das hier?

 

Zum einen bin ich selbst sehr bewegt von der Opernaufführung und dem Potential von Kunst, Perspektiven aufzuzeigen und auf Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. 

 

Zum anderen macht es deutlich:

 

Klimaungerechtigkeit ist ein Phänomen der Gegenwart. 

 

Klimaungerechtigkeit heißt: Die Menschen, die am wenigstens dazu beitragen, leiden am meisten unter den Folgen von Klimakrise und Umweltverschmutzung. 

 

Sie passiert hier und heute. Jeden Tag. Auch in Europa. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen. „Was – hier bei uns?“ Ja, „hier bei uns“. Unsere Gesellschaften sind rassistisch strukturiert und so sind marginalisierte Gruppen am meisten von der Klimakrise betroffen. Schon jetzt. In diesem Fall konkret gesundheitlich und sozial von Umweltverschmutzung. Das ist Klimarassismus. Nach der Definition des „European Environmental Bureau“ erfüllt es drei Kriterien dessen: Die Menschen sind abgeschnitten von der Stadt und grundlegenden Leistungen, in Gefahr gebracht durch das Leben in dieser giftigen Umgebung, und abgesondert durch die Zwangsumsiedlung für städtische Bauprojekte. 

 

Ich möchte hier also dazu anregen, darüber nachzudenken, wofür oder besser für wen wir unser Leben an der Klimagerechtigkeit ausrichten. 

Es geht darum, hinzusehen, wo Menschen jetzt schon auf alles verzichten müssen, weil unsere Strukturen ungerecht und rassistisch sind. Wo marginalisierte Menschen jetzt schon unter der Klimakrise leiden. Rom*nja überall in Europa sind ein Beispiel; Hitzetode bei älteren Menschen ein anderes, oder ich denke auch an die Menschen mit Behinderung, die wegen fehlender Schutzkonzepte in der Ahrtalkatastrophe nicht rechtzeitig evakuiert werden konnten. 

 

Wenn wir menschlich sein wollen, sind diese Geschichten und Gesichter nicht schon Grund genug, uns für Klimagerechtigkeit einzusetzen?

 

Wenn uns das alles egal ist, haben die rechten Kräfte schon jetzt gewonnen. 

 

 

 

Mehr Infos: 

 

https://crd.org/wp-content/uploads/2023/04/UnnaturalDisaster-report2023.pdf

https://ejatlas.org/conflict/pata-rat-landfill-cluj-napoca-romania

https://meta.eeb.org/2024/01/15/insights-from-the-first-ever-roma-environmental-justice-conference/

„Wäre einiges anders gelaufen in meinem Leben, wäre ich Trump-Wähler“ 

„Wäre einiges anders gelaufen in meinem Leben, wäre ich Trump-Wähler“ 

„Wäre einiges anders gelaufen in meinem Leben, wäre ich Trump-Wähler“ 

– wider eine linke Arroganz

von Tabea Schünemann

„Es gibt eine Sache, die ich nie vergessen möchte“, sagte mal ein Amerikaner zu mir, der demokratischer, linker, liberaler, nicht hätte sein können: „wäre einiges anders gelaufen in meinem Leben, wäre ich Trump-Wähler.“ 

 

Wow. Das Wort dafür ist: Demut.

Die Demut, zu wissen, dass alles auch anders hätte sein können, je nach Geburtsort, Familie, Kontext, Umfeld, … Natürlich hat jeder Mensch eine Verantwortung und es gibt keine Entschuldigung dafür, Trump oder die AfD oder sonst wen Menschenverachtendes zu wählen! Klar!

 

Aber, ich bin nicht die Einzige, die eins immer wieder nervt: Linke Arroganz.

Damit meine ich all diejenigen, mich eingeschlossen, die vergessen, dass auch sie nicht als Aktivisti geboren wurden. Dass einige, mich eingeschlossen, einen langen Weg dahin gegangen sind bis zu den Werten, die sie heute vertreten. Dass es das Beste, aber nicht selbstverständlich ist, links zu sein, was auch immer das bedeutet. Und dass es vielleicht eher um linkes Tun als linkes Sein gehen müsste.

 

Da ist eine Spannung: Meine politische Haltung, mein Klimabewusstsein, von dem ich einerseits möchte, dass alle es teilen und sich die Welt in die richtige Richtung verändert. Und andererseits es aushalten zu müssen, dass nicht alle so denken und die Frage, ob das überhaupt das Ziel ist. Ob es nicht mittlerweile so sehr zu meiner Identität geworden ist, ein klimabewusster Mensch zu sein, dass ich davon wieder etwas aufgeben müsste, sollte es wirklich für alle gelten.

 

Zugehörigkeit ist wichtig, auch und gerade beim Aktivismus. Ich möchte auch auf der richtigen Seite sein und zu den Guten gehören.

Aber manchmal führt das Wiederum zum Ausschluss, zum Sich-abgrenzen und zu innerlinken Grabenkämpfen, die einem geschlossenen Kampf gegen rechts nun wirklich nicht dienen.

 

Es kann nicht nur um Selbstvergewisserung gehen!

 

Nicht zu verwechseln mit safe spaces, die soo wichtig sind. Es müssen nicht alle immer alle Gespräche führen. Deswegen sind Unbetroffene auch so sehr in die Pflicht genommen. Aber wenn mich dann ein Typ unterbricht, um mir Feminismus zu erklären, kann es doch auch nicht das Wahre sein.

 

Jetzt ist die Zeit für alle progressiven, linken Menschen, sich gegenseitig durchzutragen, auch mal zusammen traurig zu sein über die Kluft zwischen Ideal und Realität und dann loszulegen und linke Politik für Nicht-linke zu machen.