Lützi lebt – weiter! ein Nachruf

Lützi lebt – weiter! ein Nachruf

Lützi lebt – weiter!   ein Nachruf

von Tabea Schünemann und Julia Schünemann

Lützerath ist geräumt, der Kampf gegen die Kohle scheinbar verloren. Einige Wochen nach der Großdemonstration sitzen wir zuhause und fragen uns: Lützerath – was bleibt? War das jetzt alles umsonst? Hätte ich mir die schlammigste Demonstration meines Lebens sparen können?  Konnte sich nicht mal das kleine Dorf in Gallien, äh NRW, den mächtigen Römern, äh RWE, entgegenstellen? Stirbt mit Lützerath nicht nur das 1,5 Grad-Ziel, sondern auch die Hoffnung? 

Jeder Frust, jede Resignation ist völlig nachvollziehbar. Für mich persönlich ist das jedoch keine Option. Ich möchte trotzig hoffnungsvoll bleiben. Also, was bleibt?

Zum einen eine Erfahrung von Demokratie. “This is, what democracy looks like!”
Ja! So viele Menschen haben deutlich gemacht: Es ist ihnen nicht egal, was mit der Welt passiert. Es wurde Solidarität gezeigt.
Mit den Menschen, die sich schon seit Wochen, Monaten und Jahren dafür eingesetzt haben und mit den Menschen, die insgesamt am meisten unter der Klimakrise leiden. Greta Thunberg und andere stellten dieses kleine Dorf in den Zusammenhang der globalen Klimabewegung. Es war klar: Hier geht es auch, aber nicht nur um ein konkretes Dorf.

Lützerath hat sich getraut, Grundsatzfragen aufzuwerfen:
Wie soll deutsche Klimapolitik aussehen?
Welchen Weg wollen wir gehen?
Von welcher Welt träumen wir?

Geht es um das Geld oder die Menschen? Die Aktivist*innen haben gezeigt: Sie sind nicht einverstanden mit dem bisherigen Weg und es ist Zeit für ein Umdenken. In Lützerath kam das ganze Dilemma deutscher Klimapolitik zusammen: Die Macht des Lobbyismus, eine unbegründete Sorge um Energieversorgung, die Priorisierung des eigenen Wohlstands, „Realpolitik“ vs. die Kompromisslosigkeit und Dringlichkeit der Klimakrise und ein aggressiver Umgang mit denen, die die nötigen Schritte einfordern. Aber es ist möglich, sie einzufordern. Ein passives Ertragen aller Entscheidungen ist keine Option. Und es sind viele, denen das alles nicht egal ist.
Wir sind nicht alleine mit unserem Engagement, wir können uns vernetzen und an anderen Stellen weitermachen. Was ja auch schon geschieht.
Wir alle sind Teil der Demokratie und es geht darum, sie wieder mehr mitzugestalten. Das ist unser Recht und unsere Pflicht.
Lützi lebt weiter, solange wir seinen Geist weiterleben lassen. 

Tabea Schünemann

 

Was außerdem von Lützi bleibt: Erfahrungen, die nicht vergessen werden und der Traum von einer besseren Welt.

Denn Lützi war ein Ort der Hoffnung, des Umdenkens und der Veränderung. Festgefahrene, gesellschaftliche Strukturen wurden auf den Kopf gestellt und die eigenen Lebensweisen hinterfragt. Eine Person, die zu der Zeit des Widerstands dort quasi Vollzeit gelebt hat, meinte einmal zu mir, sie lebe so gerne in Lützi, weil sie dort ein Leben mit den wenigsten Widersprüchen führen kann. 

Und das habe ich auch so erlebt: Hier ging es wirklich um die Menschen, die sich für sich und ihre Umwelt einsetzen. Das selbstorganisierte Leben sollte kapitalistische Muster von Konkurrenz und Profit ersetzen und unserer Konsumgesellschaft eine Alternative bieten.
Und das hat sich auch im alltäglichen Leben widergespiegelt. Die Gemeinschaft war unglaublich stark. Es wurde sehr viel Wert auf Offenheit, „Awareness“, also Achtsamkeit, Reflexion, Selbstbestimmung und Freiheit gelegt, ganz nach dem Motto „alles kann, nichts muss.“ Jeder Mensch durfte sich einbringen, wo er wollte und auch die allgemeinen Aufgaben, die anfielen, wurden gemeinschaftliche getragen. Durch die solidarische Grundeinstellung waren alle sehr hilfsbereit und auch die weniger angenehmen Punkte auf der Agenda (z.B. der Kloputz oder das Abspülen) wurden immer übernommen. Es war für mich auch eine tolle Erfahrung, ganz praktisch mit anzupacken und z. B. in der „KüfA“, der „Küche für Alle“, für mehrere hundert Personen Gemüse zu schnibbeln oder an den Baumhäusern weiterzubauen.
Ein Spruch, der mir da besonders im Kopf geblieben ist, lautet: „Bau auf, was dich aufbaut!“ Was für eine Einstellung!

Aber vor allem galt natürlich „Lützi Lebt“, also Lützerath lebendig zu machen!
Lagerfeuer mit Musik, Partys, Konzerte, Film- und Themenabende, lange Gespräche oder gemeinsames Kaffeetrinken an der Kante des Kohletagebaus waren an der Tagesordnung und haben das Leben geprägt. Das hat Lützerath auch zu so einem besonderen Ort gemacht: Hier wurde das Leben gefeiert und man hat erlebt, dass man nicht viel braucht, um ein Leben in Fülle und mit Qualität zu führen.

Und was bleibt davon?

Der gemeinsame Kampf für Gerechtigkeit und Veränderung geht weiter, auch bei jeder und jedem einzelnen von uns.
Lützi hat gezeigt, dass wir jeden Tag ein Stück weit die Wahl haben, wie wir leben wollen – auch in dem System, in dem wir leben.
Wir sind dazu angehalten, häufiger unsere Lebensweise zu hinterfragen, uns über Klimagerechtigkeit auszutauschen, und uns nicht davor zu scheuen, konkrete Veränderungen in unserem Leben zu schaffen und auf gesellschaftlicher und politischer Ebene zu fordern. 

Solidarität statt Egoismus, Toleranz statt Ignoranz, Engagement statt Gleichgültigkeit, Entschlossenheit statt Angst.

Lützi lebt weiter!

Julia Schünemann

Letzte Diskussion?!

Letzte Diskussion?!

Letzte Diskussion?!

von Tabea Schünemann

Ein Kommentar zur „Klimakleber“-Kontroverse

Wer erwartet, dass wir uns als Initiative Klimagerecht Leben hier an dieser Stelle zu den Protesten der „Letzten Generation“ positionieren, den muss ich jetzt leider enttäuschen. Zum einen gibt es dazu innerhalb unserer Gruppe so viele Meinungen wie Mitglieder, sodass eine geschlossene offizielle Haltung dazu unmöglich und auch nicht zwingend nötig ist. Zum anderen ist es meiner Meinung nach auch gar nicht die eigentliche Frage, wie diese Proteste zu bewerten sind oder wie legitim ziviler Ungehorsam in welcher Form ist. Natürlich sind das alles interessante Fragen, die auch die Klimabewegungen beschäftigen, aber die aktuelle Diskussion verläuft in meinen Augen total schief und geht an den dringenden Fragen vorbei

Anstatt über die Aktionsformen der „Letzten Generation“ zu diskutieren, müsste man fragen:

Was bewegt Menschen dazu, sich auf der Straße festzukleben, damit endlich mal ihr Anliegen ernst genommen wird? Wieso gelingt es einer demokratischen Gesellschaft nicht, diesen Menschen zuzuhören?

Ihre Anliegen und Forderungen sind absolut berechtigt, aber anstatt dies schuldbewusst anzuerkennen und sich der eigenen Verantwortung bewusst zu werden, werden sie kriminalisiert.

Um abzulenken von der unbequemen Wahrheit, die diese Menschen wagen, auszusprechen!
Diese Proteste wären überhaupt nicht nötig, wenn schon längst das politische und gesellschaftliche Bewusstsein für die Dringlichkeit von Klimaschutz und die entsprechenden (versprochenen) Handlungen vorhanden wären! Dies zeigen sie in aller Deutlichkeit.

Die Frage ist also eher:
Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Ich deute die Proteste als verzweifeltes: 

JETZT HÖRT ENDLICH MAL ZU UND MACHT MAL WAS!

Alles konventionelle Reden und Demonstrieren scheint nicht zu reichen, damit alle endlich verstehen, dass jetzt wirklich etwas getan werden muss.
Das ist keine apokalyptische Panikmache einer Jugend, die vergessen hat, in ihren 20ern Spaß zu haben!
Es sind auch keine „Klimakleber“, denen es Spaß macht, von Passant*innen angepöbelt zu werden.
Es sind Menschen mit einer schlichte Forderung: Hört den Wissenschaftler*innen endlich zu, ist das zu viel verlangt?
Natürlich bedeutet Demokratie auch Kompromisse und langsame Prozesse, aber die aktuelle Debatte verlangsamt diese noch mehr, weil lieber über die Legitimität der Proteste diskutiert wird als endlich im Handeln weiterzukommen.
Es scheint manchen gesellschaftlichen und politischen Strömungen ganz gelegen zu kommen, denn so muss man sich nicht der eigenen Verantwortung stellen, zu der man gezogen wird.

Warum werden Klimaaktivist*innen kriminalisiert und nicht die großen Verbrecher*innen der Klimakrise?
Warum wird nicht thematisiert, welche Gewalt die Klimakrise hervorbringt und welche Verantwortung der Bundesregierung auch laut Bundesverfassungsgericht darin zugeschrieben wird? Welche Tote sie schon gefordert hat, fordert und fordern wird? 

Dazu untersucht Gesa Lindemann in einem Zeit-Artikel den Begriff der Gewalt genauer und schlägt die Formulierung „ökologische Gewalt“ in Anlehnung an das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor. 

Sie kommt zu dem Schluss: 

„Die Aktionen von Letzte Generation oder Ende Gelände tun nichts anderes, als die deutsche Politik daran zu erinnern, dass das BVerfG sie dazu verpflichtet, der ökologischen Gewalt nach innen und in der internationalen Politik entgegenzutreten.“

Lasst uns bitte über die wirklichen Verbrechen und Verantwortungen sprechen!

Lasst uns die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Warnungen endlich ernst nehmen!

Lasst uns endlich das Richtige tun, statt über das Falsche zu reden!

Tabea Schünemann