Suffizienz: Die Strategie des Genug –
für eine politische Debatte

Zusammenfassung des SRU-Thesenpapiers durch die Initiative KlimaGerecht Leben für eine politische Debatte

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat im März 2024 ein Thesenpapier vorgelegt unter dem Titel Suffizienz als „Strategie des Genug“:

Eine Einladung zur Diskussion

Suffizienz,
das ist ein Leben im Genug.
Nicht in Armut (denn viele Menschen leben auch heute noch in menschenunwürdigen Bedingungen), aber auch nicht im Überfluss wie die Mehrheit in den reichen Industrienationen, deren Übernutzung natürlicher Ressourcen das Erdsystem und damit die menschliche Zivilisation in den Kollaps führen wird.

Der SRU ist ein prominent und vor allem kompetent besetztes Gremium, bestehend aus sieben Professor*innen unterschiedlicher Fachgebiete und hat die Aufgabe, die Bundesregierung(en) in allen relevanten Umweltfragen zu beraten.

Das Problem dabei ist: Trotz der besonderen Kompetenz und Expertise und der offiziellen Funktion des SRU findet die Diskussion über die Thesen zur Suffizienz weder gesellschaftlich noch politisch ernsthaft statt. Im Gegenteil: Die politischen Debatten um die Krisen des Klimas, des Artensterbens und weiterer Umweltprobleme drehen sich beinahe ausschließlich um vermeintliche technische Lösungen. Das Thema Suffizienz wird selbst von jenen gemieden, die es besser wissen, von den meisten politischen Parteien aber bewusst ignoriert. Um es klar auszusprechen: Die Bundesregierung ignoriert ihren eigenen Sachverständigenrat! Und es ist leider nicht zu erwarten, dass eine nächste möglicherweise unionsgeführte Regierung es anders machen würde.

Auch in der gesellschaftlichen Diskussion zur Klimakrise kommt das Thema jenseits einer kleinen Aktivist*innen-Blase kaum vor.

Die hohe Wissenschaftlichkeit des Papiers ist dabei Vor- und Nachteil zugleich. Die Vorteile liegen auf der Hand: Alle 16 Thesen des Diskussionspapiers sind höchst stichhaltig wissenschaftlich untermauert, durch zahlreiche Grafiken, Statistiken und Quellen eindrucksvoll belegt.

Der Nachteil aber ist, dass ein derart umfangreicher, wissenschaftlich formulierter Text kaum Leser*innen finden wird. In dieser Form ist die gesellschaftliche Debatte kaum anzustoßen, und es ist zu befürchten, dass selbst die politischen Entscheidungsträger*innen sich nicht die Mühe machen werden, die Thesen gründlich durchzuarbeiten.

Das wollen wir ändern! Wir haben uns die (durchaus lohnende) Mühe gemacht, das Papier zu lesen, und sind von der Brisanz und Relevanz dieses Textes überzeugt.

Wir, die Initiative KlimaGerecht Leben, propagieren und praktizieren suffiziente, genügsame Lebensstile. Das ist unserem Verständnis nach ein Gebot der Gerechtigkeit. Daher legen wir hiermit eine knappe und gut lesbare Zusammenfassung vor. Das Thema Suffizienz muss endlich ernsthaft diskutiert werden, geht es doch um nichts Geringeres als um den Fortbestand unserer menschlichen Zivilisation! Die wichtigste Aussage lautet:

Ohne Suffizienz wird es nicht gehen!

These 1
Suffizienz ist für eine Stabilisierung der Erde innerhalb planetarer Grenzen unerlässlich

Die Gesellschaften dieser Erde stehen durch Verbrauch und Entsorgung von aus der Umwelt entnommenen Materialien in einer Wechselbeziehung mit ihr, in einem gesellschaftlichen Stoffwechsel.

Durch den enorm hohen Verbrauch in Konsumgesellschaften wird die Umwelt vom Menschen verändert und planetare Grenzen werden überschritten.
Um dieser Überschreitung, die die Lebensgrundlage für uns Menschen zerstört, entgegenzuwirken, muss diese Wechselbeziehung gesteuert werden. Dazu reichen technologische effizienzsteigernde Maßnahmen allein nicht aus.

Es braucht ein Genug des Ressourcenverbrauchs, das die planetaren Grenzen einhält.
Besonders nötig ist Suffizienz im Bereich der Energie, da die massenhafte Verbrennung fossiler Energieträger der Verursacher der Erderhitzung ist. 

“Um (…) eine Einhaltung planetarer Belastungsgrenzen zu erreichen, ist daher zusätzlich Suffizienz notwendig, das heißt ein kollektives Auskommen mit den innerhalb der Grenzen verfügbaren Potenzialen der Ressourcennutzung” (S. 21)

These 2
Suffizienz ist Voraussetzung für menschenwürdiges Leben aller in planetaren Grenzen

Die Klimakrise ist ungerecht in vielerlei Hinsicht.
Dies betrifft die Unverhältnismäßigkeit von Verursachung und Betroffenheit innerhalb der gegenwärtigen Generationen, aber auch zwischen den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen sowie die ungerechte Verteilung von Ressourcen.
Aus dem Leitbild der Menschenwürde

„kann man zunächst eine moralische Verpflichtung entnehmen, die ökologischen Krisen einzudämmen, statt sie voranzutreiben, da die Folgen der Umweltzerstörung absehbar dazu führen, dass sich vielerorts die Lebensbedingungen massiv verschlechtern. Die Krisen drohen mitursächlich dafür zu werden, dass viele Menschen in menschenunwürdigen Lebensumständen verharren oder sogar erst in solche gedrängt werden.“ (S. 24)

Auch innerhalb planetarer Grenzen ist ein menschenwürdiges Leben für alle möglich.
Allerdings
müssen Menschen mit Ressourcenüberkonsum diesen stark reduzieren; das trifft v. a. auf Angehörige der globalen Ober- und Mittelschicht zu.

„Die Einhaltung der planetaren Belastungsgrenzen ist damit eine Voraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein aller Menschen.” (S. 24)

These 3
Suffizienz ist notwendiger Teil einer Strategie, um schädliche Eigendynamiken der Technosphäre einzuhegen

Die Begrenzung des gesellschaftlichen Stoffwechsels ist für den Erhalt von ökologischer Stabilität entscheidend.
Für unsere Gesellschaft gelten physikalische und chemische Wachstumsgrenzen, ähnlich wie für einen Organismus: Je größer Pflanzen und Tiere sind, desto mehr Energie muss ihr Stoffwechsel umsetzen.
Unsere Gesellschaft ist auch ein offenes System mit Energie- und Materienumsatz, weshalb es nahe liegt, dass dieselben Grenzen für unsere Zivilisation gelten.

Durch den technologischen Fortschritt, insbesondere im Bezug auf das Verbrennen fossiler Energieträger und deren große Verfügbarkeit, hat der effiziente Einsatz von Stoffen und Energien an Bedeutung verloren. Es bestehen ohne Frage große Optimierungspotenziale.

Die Kopplung von Wachstum und Verbrauch bedingt aber, dass selbst durch Optimierung von Prozessen (Effizienz) und den Einsatz von umweltschonenden Alternativen (Konsistenz) keine beliebige Reduktion des Ressourcenverbrauchs möglich ist.

Effizienz:
Optimierung von Gütern und Dienstleistungen, um Rohstoffe und Energie einzusparen.
Konsistenz:
Ersatz umweltschädlicher Güter und Dienstleistungen durch Alternativen mit geringeren Umweltauswirkungen.
Suffizienz:
Absolute Verminderung schädlicher Auswirkungen durch eine gezielte Vermeidung oder Reduktion bestimmter Güter oder Praktiken.

Genau hier kommt Suffizienz zum Einsatz:
Sie wirkt dem eigendynamischen Wachstumszwang unserer Wirtschaft, vor allem der Technosphäre, entgegen. Dabei muss sie auf gesellschaftlicher Basis angewendet werden, damit uns überhaupt ökologische Handlungsfreiheiten erhalten bleiben und Schaden an Menschen und Umwelt abgewendet werden kann.

„Eine Kultur und Praxis der Suffizienz beinhaltet hier die Möglichkeiten (…) einer gezielten, von moralischen Werten und ökologischer Einsicht geleiteten Steuerung gesellschaftlicher Energie- und Stoffströme.“ (S. 29)

These 4
Suffizienz kann den Bedarf an Rohstoffen reduzieren und zu ihrer langfristigen Verfügbarkeit beitragen

Die Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen verursachen einen hohen Verbrauch an Flächen, Wasser, Energie und Chemikalien. Weltweit leiden Menschen unter den Folgen des hohen Rohstoffverbrauchs, etwa durch schlechte Arbeitsbedingungen, daraus resultierenden gesundheitlichen Problemen, und Menschenrechtsverletzungen bei ihrer Gewinnung und Verarbeitung.

Es ist ungewiss, ob die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch erfolgreich sein wird. Deshalb braucht es „ambitionierte, quantifizierbare politische Ziele“, um den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und die planetaren Grenzen einzuhalten. Ein solches Ziel könnte beispielsweise durch ein Ressourcenschutzgesetz erreicht werden.

Die Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen verursachen einen hohen Verbrauch an Flächen, Wasser, Energie und Chemikalien. Weltweit leiden Menschen unter den Folgen des hohen Rohstoffverbrauchs, etwa durch schlechte Arbeitsbedingungen, daraus resultierenden gesundheitlichen Problemen, und Menschenrechtsverletzungen bei ihrer Gewinnung und Verarbeitung.

Es ist ungewiss, ob die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch erfolgreich sein wird. Deshalb braucht es „ambitionierte, quantifizierbare politische Ziele“, um den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und die planetaren Grenzen einzuhalten. Ein solches Ziel könnte beispielsweise durch ein Ressourcenschutzgesetz erreicht werden.

These 5
Die Verbreitung suffizienter Praktiken erfordert auch strukturellen Wandel

Suffizienz auf individueller Ebene wird nicht ausreichen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Individuelle Entscheidungen hängen stark von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Suffizienz sollte als eine gesamtgesellschaftliche Innovation verstanden werden, die auf verschiedenen Ebenen stattfindet.

Die Aufgabe der Politik ist es, Strukturen zu schaffen, die suffiziente Lebensstile ermöglichen. Auf kultureller Ebene muss ressourcenschonendes Verhalten zu einem neuen gesellschaftlichen Leitbild werden. Zahlreiche Infrastrukturen müssen angepasst werden, im Bereich des Rechts- und Wirtschaftssystem, der Energie- und Verkehrssysteme sowie unserer Werteordnung.

„Dass Suffizienz aber in öffentlichen Diskursen überwiegend als aus eigenem Antrieb motivierter Verhaltensänderung gedacht wird, zeigt, wie tabuisiert die Idee einer gemeinschaftlichen Selbstbeschränkung ist.” (S. 30)

These 6
Ressourcenintensive Lebensstile gefährden die Freiheit anderer und es gibt keinen moralischen Anspruch, dies zu ignorieren

Gegen die Einschränkung von ressourcenintensiven Verhaltensweisen wird oftmals der Vorwurf erhoben, die persönliche Freiheit sei damit gefährdet.

„Damit wird implizit der Anspruch erhoben, die ökologischen Auswirkungen des eigenen Lebensstils auf andere nicht berücksichtigen zu müssen, weil dieser als Ausübung der persönlichen Freiheitsrechte verstanden wird.” (S. 32)

Bei Suffizienz geht es stattdessen darum, Freiheitsrechte derjenigen zu schützen, die durch die ökologischen Folgen dieser Verhaltensweisen gefährdet sind.
Dies ist dabei v.a. Aufgabe des Gesetzgebers und die dafür notwendigen Einschränkung der Freiheiten ist in Einklang mit dem Freiheitsverständnis des Rechtsstaats.
Freiheit bedeutet hier,
“alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet”, wie es schon in Art. 4 der französischen Erklärung für Menschen- und Bürger*innenrechte definiert ist. (S. 33)

Dies lässt sich moralisch untermauern mit ideengeschichtlichen Konzepten wie Kants kategorischem Imperativ, dass nur nach der Maxime zu handeln ist, die Grundlage allgemeinen Gesetzes sein könnte. Anders ausgedrückt: Für Überkonsum, der mehr verbraucht als einem zusteht, gibt es keine moralische Rechtfertigung.

In diesem Kontext kann Suffizienz als ausgleichendes Element zwischen sich gegenüberstehenden Freiheitsansprüchen von Menschen mit hohem Konsum auf der einen Seite und Menschen mit niedrigem Konsum sowie jungen und künftigen Generationen auf der anderen Seite (s. These 2) verstanden werden.”(S. 32)

These 7
Suffizienz konfrontiert die Gesellschaft mit den Widersprüchen der westlichen Moderne

Der Begriff “westliche Moderne” drückt ein Selbstverständnis von v.a. europäischen Gesellschaften aus, ein aufklärerisches System aus Werten und Normen als Grundlage zu teilen. Wichtig an dieser Stelle ist ein Narrativ von unabdingbar wachsendem Fortschritt.
Eine Strategie der Suffizienz stellt dies grundlegend infrage und weist auf Krisen und soziale Missstände hin, die diesem widersprechen. Denn dieses Denken speist sich aus Rassismus und Eurozentrismus, was wiederum die ideelle Grundlage des Kolonialismus sowie der heutigen globalen Ungerechtigkeit und Ausbeutung war und ist. Dies steht wiederum im Zusammenhang mit anderen strukturellen Unterdrückungssystemen wie dem Patriarchat.

Diese Problematiken machen auch wieder deutlich, warum ein rein technologischer Weg nicht ausreicht, sondern im Gegenteil manche Abhängigkeits – und Ausbeutungsmechanismen verstärkt. Dass unsere Welt postkolonial strukturiert ist und dieses rassistische, sexistische usw. Denken so tief verwurzelt ist, erschwert den Diskurs, macht eine Reflektion dessen aber umso notwendiger. Die Chance liegt darin, neu über ein gerechtes Zusammenleben für alle nachzudenken, ganz im Sinne der Aufklärung.

„Der Suffizienzdiskurs macht eine Auseinandersetzung mit diesen Widersprüchen und Defiziten erforderlich.” (S. 34)

These 8
Suffizienz erfordert ein zukunftsfähiges Wohlfahrtsverständnis und ein vorsorgeorientiertes Wirtschaftssystem

Unendliches materielles Wachstum ist in einer endlichen Welt nicht möglich. Die Frage ist, inwieweit sich das Wirtschaftswachstum vom materiellen Ressourcenverbrauch entkoppeln lässt. Unser derzeitiges Wirtschaftssystem beruht auf Wachstum, um Wohlstand zu erzeugen. Bereits heute wird kritisiert, dass das Versprechen „Wohlstand für alle“ nicht eingelöst wird.

Vertreter*innen des „grünen Wachstums“ glauben, dass technologischer Fortschritt Wirtschaftswachstum mit immer geringeren Umweltschäden ermöglichen kann.
Vertreter*innen der „Degrowth“-Bewegung hingegen wenden ein, dass es keine wissenschaftliche Grundlage für eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltschäden gibt.
Darüber hinaus muss unsere Wirtschaft so gestaltet werden, dass wesentliche Institutionen und die Wohlfahrt trotz stagnierenden oder schrumpfenden Wirtschaftswachstums innerhalb der planetaren Grenzen funktionsfähig bleiben. Diese Diskussion wirft grundlegende Fragen zum Verständnis von Wohlfahrt, zur Verteilung von Reichtum und zur Struktur des Finanzsystems auf.
Ein zukunftsfähiges Wirtschaftssystem ist unabhängig vom Wachstum und ermöglicht wünschenswertes Wachstum in Bereichen wie erneuerbare Energien, Bildung, Gesundheit und soziale Arbeit.

„Jenseits des Green-Growth-Degrowth-Disputs bedarf es dringend konkreter Schritte, um gesellschaftliche Wohlfahrt innerhalb ökologischer Grenzen bei möglicherweise stagnierendem oder sinkendem Wirtschaftswachstum sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund spricht sich der SRU erneut für eine vorsorgende Wachstumsunabhängigkeit aus.“
(S. 37)

These 9
Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft setzt Suffizienz voraus

Eine Kreislaufwirtschaft zielt darauf ab, den Rohstoffverbrauch und die Abfallproduktion durch Veränderungen in allen Phasen des Produktlebenszyklus zu minimieren. Dabei geht es weit über reines Recycling hinaus: Es muss grundsätzlich hinterfragt werden, wie viel wir wirklich benötigen und wie wir mit Produkten umgehen. Der Schwerpunkt liegt auf der Vermeidung von Abfall und einer geringeren Nachfrage nach Rohstoffen.

In einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft konsumieren wir weniger, produzieren in höherer Qualität, behalten Produkte länger und reparieren sie. Suffizienz ist hierbei eine wesentliche Voraussetzung. Um dies zu erreichen, müssen Anreize für Unternehmen geschaffen werden, etwa durch das europäische Recht auf Reparatur. Auch die Konsument*innen müssen ihr Konsumverhalten anpassen, indem sie anders und weniger konsumieren.

„Nachhaltiges und zirkuläres Wirtschaften kann die Abhängigkeiten von wichtigen Rohstoffen reduzieren. Unternehmen werden widerstandsfähiger und erfolgreicher. Außerdem kann sich die Lebensqualität und Gesundheit der Menschen verbessern.“ (S. 44)

These 10
Eine Politik der Suffizienz ist verfassungsrechtlich möglich und unter bestimmten Bedingungen sogar geboten

Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zum Klimaschutz (Art 20a GG).
Dies kann mit Einschränkungen einhergehen, wenn die Freiheit anderer bedroht ist. Auch dies ist verfassungsrechtlich gedeckt und schließt die Rechte zukünftiger Generationen mit ein (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 2021). Dies bedeutet, dass die immer nötiger werdenden Reduktionen und Einschränkungen nicht nur den zukünftigen Generationen überlassen werden dürfen. Das Problem darf also nicht in die Zukunft verlagert werden.

Auch mit dem staatlichen Ziel der Wirtschafts- und Wohlstandsförderung ist unzureichender Klimaschutz nicht zu vereinbaren, da auch diese langfristig von den Folgen der Klimakrise gefährdet sind. Da abzusehen ist, dass allein technische Lösungen nicht reichen, um die staatliche Verpflichtung auf Klimaschutz einzuhalten, ist Suffizienz sogar rechtlich geboten! Eine Aufgabe des Gesetzgebers besteht u.a. darin, Belastungsgrenzen konkret festzulegen. Dabei muss er “wissenschaftlichen Erkenntnissen angemessen Rechnung tragen” (S. 46) und rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, die Suffizienz ermöglichen.

“Suffizienz ist eine legitime Form demokratischer Politikgestaltung.”(S. 45)

These 11
Kultureller Wandel ist Voraussetzung für und Resultat von Suffizienzpolitik

Unsere modernen Gesellschaften sind in ihrer Struktur nicht auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Ein suffizientes Leben steht daher im Widerspruch zur gängigen Praxis. Dieses ist schwierig, da nachhaltige Lösungen oft teurer oder unbequemer sind und die Wertvorstellungen und Standards des Mainstreams nachhaltig lebende Menschen zu Außenseiter*innen machen.

Ein Umbau der sozialen Strukturen und ein besseres Angebot an nachhaltigen Lösungen wird Suffizienz ermöglichen. Andererseits kann ein genügsames Leben selbst auch neue Maßstäbe setzen, kann Möglichkeiten aufzeigen, Zwänge und Gewohnheiten hinter sich zu lassen, und kann zeigen, dass ein anderes Leben nicht nur möglich, sondern auch lohnend ist!

Die Pionier*innen eines nachhaltigen Lebensstils haben in diesem Sinne eine wichtige Vorbildfunktion.

„In diesem Sinne bedeutet eine neue Praxis der Suffizienz kulturellen Wandel.“ (S. 48)

These 12
Suffizienz kann Baustein eines gelingenden Lebens sein

Viele Menschen in den reichen Ländern leiden heute unter Stress und Überlastungen bis zu modernen Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen.

Die Verkleinerung oder Beseitigung von Konsumzwängen durch ein genügsames Leben hätte viele positive Nebeneffekte: Verbesserte Gesundheit und Wohlbefinden, entspanntere Zeiteinteilung und gestärkter sozialer Zusammenhalt. Praktiken des Teilens, Leihens, Tauschens von Dingen und Fähigkeiten, von gegenseitiger Hilfe fördern den „Beziehungswohlstand“.

Armutsgefährdete oder Menschen, die in Armut leben (auch diese gibt es in Deutschland) hätten durch ein größeres Angebot an nachhaltigen Möglichkeiten mehr Teilhabe und könnten Ihre Lebensqualität deutlich verbessern.

„Eine suffiziente Praxis (beinhaltet) auch das Potenzial, zu (…) weniger entfremdeten Weltbeziehungen und (…) einem gelingenden Leben beizutragen.“ (S. 58)

These 14
Suffizienzpolitik wird auf gesellschaftliche Widerstände treffen

Wegen gewohnter Denk- und Verhaltensmuster ist zu erwarten, dass Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs besonders bei wohlhabenden und konsumorientierten Menschen als unzumutbarer Verzicht oder gar als bevormundender Eingriff in die persönliche Freiheit empfunden werden.

Hier entstehen Spannungen zwischen dem Anspruch eines nachhaltigen und verantwortungsvollen Lebens mit der Vorstellung einer individuellen „Freiheit“, in die der Staat nicht eingreifen dürfe. (siehe These 6)

Der SRU befürwortet ordnungsrechtliche Maßnahmen (Ge- und Verbote), die jedoch offen, ehrlich und mutig kommuniziert werden müssen:

  • Die Erkenntnis, dass natürliche Ressourcen nicht weiter sorg- und grenzenlos genutzt werden können, darf nicht vertuscht werden.
  • Die schwerwiegenden Folgen des Nicht-Handelns, also zu erwartende Verluste und Risiken, müssen klar benannt werden.
  • Gleichzeitig müssen die positiven Aspekte und Chancen einer anderen, gerechteren und nachhaltigen Gesellschaft deutlich gemacht werden.

„Eine suffiziente Praxis (beinhaltet) auch das Potenzial, zu (…) weniger entfremdeten Weltbeziehungen und (…) einem gelingenden Leben beizutragen.“ (S. 58)

Es braucht Narrative (Erzählungen, Leitbilder, Vorbilder, Visionen) für eine bessere Zukunft, die anschlussfähig und begeisternd sind. Diese zu entwickeln ist auch die Aufgabe der

„Pionier*innen des Wandels, also Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen, die Transformation (…) ‚von unten’ durch Innovationen und nachhaltige Praktiken anstoßen.“ (S. 62)

These 15
Suffizienzpolitik muss sozial gerecht gestaltet werden und kann Ungleichheit verringern

Eine Strategie des Genug verfolgt das Ziel, ein nicht zu viel (kein Überkonsum) mit dem nicht zu wenig (keine Armut) zu verbinden. Dies läuft auf eine gerechtere Verteilung von Ressourcen hinaus.
Daher erfordert der Umwelt- und Klimaschutz besonders von Einkommensstarken und Vermögenden eine deutliche Verminderung des Verbrauchs.

Preise, die die ökologischen Kosten widerspiegeln, sind zwar grundsätzlich wünschenswert, könnten aber ärmere Menschen übermäßig belasten. Zielführender wären die gezielte Bepreisung von Luxusgütern, sowie strukturelle verteilungspolitische Maßnahmen.

Der Klimawandel wird sich negativ auf Wirtschaft und Wohlstand auswirken. Soziale Konflikte werden bei sich verstärkenden Krisen unausweichlich. Dem ist nur durch eine gerechtere Verteilung von Wohlstand zu begegnen.

„Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen ökonomischer Ungleichheit und Ressourcenverbrauch bietet Suffizienz eine Chance, umwelt- und sozialpolitische Veränderungen zusammenzudenken (…)“(S. 63)

 

These 16
Es bedarf einer Verständigung auf zentrale Handlungsfelder für Suffizienzmaßnahmen

Aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit, der Belastung ökologischer Ressourcen und der Unumkehrbarkeit von Schäden im Erdsystem ist es zwingend notwendig, sich über vorrangige Maßnahmen zu einigen.

Im Zentrum der unterschiedlichen Ansätze von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft (Bürger*innen) stehen die zu entwickelnden Leitbilder, Narrative und Zukunftsvisionen.
Welche Gesellschaft wollen wir sein?

„Suffizienz berührt sämtliche Lebensbereiche des Menschen.(S. 64)

 

Fazit und Nachwort (der Initiative KlimaGerecht Leben)

„… und es gibt keinen moralischen Anspruch, dies zu ignorieren.“

 

So steht es in These 6. Und doch ist es genau das, was zurzeit passiert. 

Die Bundesregierung verfügt mit dem SRU über einen vorzüglichen Sachverständigenrat, dessen hohe fachliche Qualität außer Frage steht. Die vom SRU vorgelegten Thesen sprechen eine eindeutige Sprache.
Das Thema Suffizienz ist für den Erhalt unserer freien demokratischen Ordnung, für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und unserer menschlichen Zivilisation von entscheidender Bedeutung.

Es sei auch darauf verwiesen, dass der Ethikrat in seiner Stellungnahme zur Klimagerechtigkeit zu einer sehr ähnlichen Einschätzung kommt über die Notwendigkeit einer suffizienten Lebensweise:

Suffizienz ist ein herausforderndes Thema, gewiss, aber es bietet auch viele Chancen, die weit über die Bewältigung der lebensbedrohlichen Krisen unserer Zeit hinausgehen.

Dennoch ist nicht erkennbar, dass es vonseiten der Regierung (und der Opposition) auch nur Ansätze gäbe, dieses zu diskutieren, anzuerkennen, geschweige denn, es umzusetzen.

Das darf nicht sein!

Wozu gibt es einen Sachverständigenrat, wenn er konsequent ignoriert wird?

Wir fordern daher die Bundesregierung und auch die Parteien der Opposition auf, sich endlich dieses Themas anzunehmen und den Empfehlungen des SRU zu folgen.

Denn diese Ignoranz gefährdet unser aller Zukunft!

 

Das vollständige Thesenpapier des SRU ist hier nachzulesen.

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2 Kommentare
  1. WENIGER IST MEHR

    Der Mensch macht sich die Erde Untertan,
    getrieben vom ewigen Wachstumswahn.
    Autos werden größer, Straßen breiter,
    die Wälder dagegen schrumpfen weiter.

    Es ist höchste Zeit für uns, zu handeln,
    endlich uns’ren Lebensstil zu wandeln.
    Was nützt uns Wohlstand und alles Geld,
    wenn am Ende kollabiert die Welt.

    Man produziert und produziert,
    plündert Ressourcen ungeniert.
    Gewinnmaximierung ist Pflicht,
    die intakte Natur zählt nicht.
    Börsenkurse steh’n im Fokus,
    Umweltschutz in den Lokus.

    Plastikflut und Wegwerftrend,
    man konsumiert permanent.
    Nur unser ständiges Kaufen
    hält das System am Laufen.
    Unser westlicher Lebensstil
    taugt nicht als Menschheitsziel.

    Die Jagd nach ewigem Wachstum
    bringt letztlich den Planeten um.
    Das oberste Gebot der Zeit
    muss heißen Nachhaltigkeit.
    Statt nur nach Profit zu streben,
    im Einklang mit der Natur leben.

    Zu viele Buchen und Eichen
    mussten schon der Kohle weichen.
    Retten wir den herrlichen Wald,
    bewahren die Artenvielfalt.
    Kämpfen wir für Mutter Erde,
    dass sie nicht zur Wüste werde.

    Der Mensch, dieses kluge Wesen
    kann im Gesicht der Erde lesen.
    Er sieht die drohende Gefahr,
    spürt die Erwärmung Jahr für Jahr.
    Homo sapiens muss aufwachen,
    seine Hausaufgaben machen.

    Wir alle stehen in der Pflicht,
    maßvoll leben ist kein Verzicht.
    Teilen und Second Hand der Trend,
    Repair vor Neukauf konsequent.
    Bei allem etwas Enthaltsamkeit,
    nehmen wir uns die Freiheit.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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    • Vielen Dank!

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