Eine Einladung zur Diskussion
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat im März 2024 ein Thesenpapier vorgelegt unter dem Titel Suffizienz als „Strategie des Genug“:
Der SRU ist ein prominent und vor allem kompetent besetztes Gremium, bestehend aus sieben Professor*innen unterschiedlicher Fachgebiete und hat die Aufgabe, die Bundesregierung(en) in allen relevanten Umweltfragen zu beraten.
Das Problem dabei ist: Trotz der besonderen Kompetenz und Expertise und der offiziellen Funktion des SRU findet die Diskussion über die Thesen zur Suffizienz weder gesellschaftlich noch politisch ernsthaft statt. Im Gegenteil: Die politischen Debatten um die Krisen des Klimas, des Artensterbens und weiterer Umweltprobleme drehen sich beinahe ausschließlich um vermeintliche technische Lösungen. Das Thema Suffizienz wird selbst von jenen gemieden, die es besser wissen, von den meisten politischen Parteien aber bewusst ignoriert. Um es klar auszusprechen: Die Bundesregierung ignoriert ihren eigenen Sachverständigenrat! Und es ist leider nicht zu erwarten, dass eine nächste möglicherweise unionsgeführte Regierung es anders machen würde.
Auch in der gesellschaftlichen Diskussion zur Klimakrise kommt das Thema jenseits einer kleinen Aktivist*innen-Blase kaum vor.
Die hohe Wissenschaftlichkeit des Papiers ist dabei Vor- und Nachteil zugleich. Die Vorteile liegen auf der Hand: Alle 16 Thesen des Diskussionspapiers sind höchst stichhaltig wissenschaftlich untermauert, durch zahlreiche Grafiken, Statistiken und Quellen eindrucksvoll belegt.
Der Nachteil aber ist, dass ein derart umfangreicher, wissenschaftlich formulierter Text kaum Leser*innen finden wird. In dieser Form ist die gesellschaftliche Debatte kaum anzustoßen, und es ist zu befürchten, dass selbst die politischen Entscheidungsträger*innen sich nicht die Mühe machen werden, die Thesen gründlich durchzuarbeiten.
Das wollen wir ändern! Wir haben uns die (durchaus lohnende) Mühe gemacht, das Papier zu lesen, und sind von der Brisanz und Relevanz dieses Textes überzeugt.
Wir, die Initiative KlimaGerecht Leben, propagieren und praktizieren suffiziente, genügsame Lebensstile. Das ist unserem Verständnis nach ein Gebot der Gerechtigkeit. Daher legen wir hiermit eine knappe und gut lesbare Zusammenfassung vor. Das Thema Suffizienz muss endlich ernsthaft diskutiert werden, geht es doch um nichts Geringeres als um den Fortbestand unserer menschlichen Zivilisation! Die wichtigste Aussage lautet:
Ohne Suffizienz wird es nicht gehen!
Suffizienz,
das ist ein Leben im Genug.
Nicht in Armut (denn viele Menschen leben auch heute noch in menschenunwürdigen Bedingungen), aber auch nicht im Überfluss wie die Mehrheit in den reichen Industrienationen, deren Übernutzung natürlicher Ressourcen das Erdsystem und damit die menschliche Zivilisation in den Kollaps führen wird.
Der SRU formuliert in aller Deutlichkeit, dass für eine Stabilisierung der Erde innerhalb der planetaren Grenzen Suffizienz unerlässlich ist.
Die Menschheit hat den Planeten an den Rand eines Kollaps gebracht. Durch den enorm hohen Verbrauch in Konsumgesellschaften wird die Umwelt vom Menschen stark verändert und planetare Grenzen werden überschritten.
Um dieser Überschreitung, die unsere Lebensgrundlage zerstört, entgegenzuwirken, reichen Effizienz (Optimierungen bestehender Techniken) und Konsistenz (Ersatz durch umweltfreundlichere Alternativen) nicht aus. Diese allein werden einen Kollaps des Erdsystems nicht verhindern können.
Notwendig ist Suffizienz als absolute Verminderung des Verbrauchs von Rohstoffen und Energie.
Damit ist Suffizienz die Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben aller, heute und in Zukunft.
„Die Einhaltung der planetaren Belastungsgrenzen ist damit eine Voraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein aller Menschen.” (S. 24)
Ressourcenintensive Lebensstile gefährden die Freiheit anderer und es gibt keinen moralischen Anspruch, dies zu ignorieren.
Überkonsum darf nicht mit „Freiheit“ verwechselt werden. Wegen gewohnter Denk- und Verhaltensmuster ist zu erwarten, dass Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs besonders bei wohlhabenden und konsumorientierten Menschen als unzumutbarer Verzicht oder gar als bevormundender Eingriff in die persönliche Freiheit empfunden werden.
Hier entstehen Spannungen zwischen dem Anspruch eines nachhaltigen und verantwortungsvollen Lebens mit der Vorstellung einer individuellen „Freiheit“, in die der Staat nicht eingreifen dürfe.
Für Überkonsum, der mehr verbraucht als einem zusteht, gibt es aber keine moralische Rechtfertigung. Bei Suffizienz geht es stattdessen darum, die Freiheitsrechte derjenigen zu schützen, die durch die ökologischen Folgen dieser Verhaltensweisen gefährdet sind.
Die Chance liegt darin, neu über ein gerechtes Zusammenleben für alle nachzudenken.
Denn Suffizienz ist vor allem eine Frage der Gerechtigkeit.
Die Klimakrise und andere Umweltkrisen sind ungerecht in vielerlei Hinsicht. Dies betrifft die Unverhältnismäßigkeit von Verursachung und Betroffenheit innerhalb der gegenwärtigen Generationen, aber auch zwischen den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen sowie die ungerechte Verteilung von Ressourcen. Gerecht gestaltete Suffizienz kann solche Ungleichheiten verringern.
Eine Strategie des Genug verfolgt das Ziel, ein nicht zu viel (kein Überkonsum) mit dem nicht zu wenig (keine Armut) zu verbinden. Dies läuft auf eine gerechtere Verteilung von Ressourcen hinaus. Daher erfordert der Umwelt- und Klimaschutz besonders von Einkommensstarken und Vermögenden eine deutliche Verminderung des Verbrauchs.
„Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen ökonomischer Ungleichheit und Ressourcenverbrauch bietet Suffizienz eine Chance, umwelt- und sozialpolitische Veränderungen zusammenzudenken (…)“(S. 63)
Um eine Kultur der Genügsamkeit zu etablieren, braucht es einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel. Dieser wird angetrieben durch die Pionier*innen eines nachhaltigen Lebensstils, die in diesem Sinne eine wichtige Vorbildfunktion einnehmen.
Ein genügsames Leben kann neue Maßstäbe setzen und kann Möglichkeiten aufzeigen, Zwänge und Gewohnheiten hinter sich zu lassen. Es kann zeigen, dass ein anderes Leben nicht nur möglich, sondern auch lohnend ist!
Daneben ist es die Aufgabe der Politik, jene Strukturen zu schaffen, die suffiziente Lebensstile ermöglichen und unterstützen.
Eine Politik der Suffizienz ist verfassungsrechtlich nicht nur möglich, sondern unter bestimmten Bedingungen sogar geboten.
Suffizienz ist ein herausforderndes Thema, gewiss, aber es bietet auch viele Chancen, die weit über die Bewältigung der lebensbedrohlichen Krisen unserer Zeit hinausgehen.
Denn Suffizienz kann ein Baustein eines gelingenden Lebens sein.
Zu viele Menschen in den reichen Ländern leiden heute unter Stress und Überlastungen bis zu modernen Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen.
Die Verkleinerung oder Beseitigung von Konsumzwängen durch ein genügsames Leben hätte viele positive Nebeneffekte: Verbesserte Gesundheit und Wohlbefinden, entspanntere Zeiteinteilung und gestärkter sozialer Zusammenhalt. Praktiken des Teilens, Leihens, Tauschens von Dingen und Fähigkeiten, von gegenseitiger Hilfe fördern den „Beziehungswohlstand“.
Armutsgefährdete oder Menschen, die in Armut leben (auch diese gibt es in Deutschland), hätten durch ein größeres Angebot an nachhaltigen Möglichkeiten mehr Teilhabe und könnten ihre Lebensqualität deutlich verbessern.
„Eine suffiziente Praxis (beinhaltet) auch das Potenzial, zu (…) weniger entfremdeten Weltbeziehungen und (…) einem gelingenden Leben beizutragen.“ (S. 58)
Wir brauchen Narrative (Erzählungen, Leitbilder, Vorbilder, Visionen) für eine bessere Zukunft, die anschlussfähig und begeisternd sind.
Diese zu entwickeln ist auch die Aufgabe der
„Pionier*innen des Wandels, also Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen, die Transformation (…) ‚von unten’ durch Innovationen und nachhaltige Praktiken anstoßen.“ (S. 62)
Also von uns! Welche Gesellschaft wollen wir sein?
Eine ausführliche Zusammenfassung mit den einzelnen Thesen ist hier zu finden
Das vollständige Thesenpapier des SRU ist hier nachzulesen.
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