Das „Klimaziel“ in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion

von Roland Vossebrecker

„In seinem neusten Bericht mahnt der der Weltklimarat eindringlich dazu, klimaschädliche Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren. Geschehe dies nicht, würde das Ziel, das einst im Pariser Klimaabkommen festgeschrieben wurde, die Erderwärmung durch die Industrialisierung auf 1,5-Grad zu begrenzen, schon Anfang der 2030-er Jahre überschritten. Sofort, so der Weltklimarat, müsse gehandelt werden.

in „Panorama

Wer glaubt noch an 1,5° Grad? Wer glaubt noch daran, dass es der Menschheit gelingen wird, die Erderwärmung auf 1,5° Grad gegenüber vorindustrieller Zeit zu begrenzen?

„Es ist weiterhin möglich, die 1,5 Grad in Reichweite zu halten, wenn wir in den nächsten sieben Jahren die globalen Emissionen halbieren. Die Menschheit hat das nötige Wissen, die passenden Technologien und auch die finanziellen Mittel.“

Dieses Zitat von Außenministerin Annalena Baerbock steht exemplarisch für die Politik, die in ihrer Kommunikation beharrlich am 1,5°-Ziel festhält.

Nun ist an Baerbocks Äußerung nichts grundlegend falsch. Aber wie realistisch ist es, die globalen Emissionen in sieben Jahren zu halbieren? Sie steigen immer noch, und die stetigen und immer dramatischeren Weckrufe der Wissenschaft, so z. B. der oben zitierte jüngste IPCC-Bericht, verhallen nach wie vor beinahe wirkungslos. Ein globaler Krisengipfel, der diesen Namen auch verdient und die Krise als Menschheitsbedrohung behandelt, ist nicht in Sicht.

So klingen die Bekenntnisse aller demokratischen Parteien zu 1,5° (über die AfD muss man in dem Zusammenhang nicht reden) immer hohler und inhaltsleerer. Es dürfte interessant sein, wie sich die politische Kommunikation in einigen Jahren verändern wird, wenn die 1,5° überschritten sein werden. Ob es über gegenseitige Schuldzuweisungen hinausgehen wird? Ob es ein demütiges Eingeständnis des eigenen Versagens geben wird?

 

Interessanter ist, wie die Diskussion um das 1,5° Grad-Ziel auf wissenschaftlicher Seite verläuft.

Hans Joachim Schellnhuber äußert sich eindeutig:

„Einen Klimawandel, der gravierende Auswirkungen hat, können wir nicht mehr abwenden. Wir werden vermutlich in zehn bis 15 Jahren die 1,5 Grad-Linie globaler Erwärmung überschreiten und dann darüber hinausschießen.“

Mojib Latif sagte bereits im Oktober 2018:

„Die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist praktisch ausgeschlossen.“

Heute findet er mehr „Ehrlichkeit in der Kommunikation“ wünschenswert:

„Das Festhalten an der 1,5-Grad-Marke in der öffentlichen Kommunikation kann zu Unverständnis, Angst und auch Fatalismus führen. Alles Hemmnisse für einen zielführenden Diskurs.“

Vermutlich würden nicht einmal zwei Grad geschafft.

„Nimmt man das, was die Politik weltweit derzeit macht, sind wir eher auf dem Kurs drei Grad.“

Und noch drastischer:

„Wir nähern uns dem Punkt, an dem man sich eingestehen muss: Die Zeit ist abgelaufen.“

 

Die Klimaforscher Johan Rockström und Carl-Friedrich Schleußner vertreten ein andere Position. Sie halten es für eine fatale Fehleinschätzung, das 1,5°-Ziel für tot zu erklären: „Denn 1,5 Grad sind nicht nur ein politisches Ziel. Sondern sie sind das planetare Limit.“

Sie weisen darauf hin, dass 1,5 Grad eine kritische Schwelle für die Stabilität mancher Klimakippelemente sind:

„Nur wenn wir mittelfristig die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad begrenzen, können wir das Risiko für das Überschreiten von Kipppunkten dieser kritischen Systeme noch minimieren. Und eine fatale Kaskade von Kippelementen, die sich gegenseitig verstärken, verhindern. Alles, was über ein geringfügiges und zeitlich begrenztes Überschreiten von 1,5 Grad Celsius hinausgeht, erhöht diese Risiken deutlich.“

Ihnen geht es vor allem um die Frage, welche Folgen eine Abkehr vom Pariser Ziel politisch und psychologisch haben würde

„Nun gibt es einige, auch aus dem Kreis der Klimaforschenden, die 1,5 Grad vorzeitig für tot erklären, vielleicht auch in der Hoffnung, dass dies als Weckruf zu mehr Klimaschutz führen würde. Das überzeugt nicht. Aus unserer Sicht wird ein Fallenlassen der 1,5-Grad-Grenze nicht zu mehr Klimaschutz führen. Vielmehr würden Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen dann zwei Grad als Zielmarke ausrufen. Und in der Folge würden auch die Reduktions- und „Netto null“-Emissionsziele aufgeweicht werden.“

Ein spannende Debatte! 

Wie lässt sich eine realistische Einschätzung der Lage, die leider ziemlich pessimistisch ausfallen muss, mit ausreichend viel Hoffnung begegnen, um handlungsfähig zu bleiben, um den Kampf gegen jedes Zehntel, jedes Hundertstel Grad Erderwärmung weiterzuführen?

Klar ist: Das Überschreiten der 1,5° bedeutet noch nicht das Ende. Bei 1,5° geht die Welt nicht unter und es wäre unsinnig, an diesem Punkt aufzugeben, denn 1,9° ist besser als 2°. Und auch 2,45° ist besser als 2,5°. Jedes Zehntel Grad erhöht die Wahrscheinlichkeit irreversibler Kipppunkte. Jedes bisschen mehr Erderhitzung bedeutet ein Mehr an Leid, Elend und Tod. 

 

Beim globalen Klimastreik am 3. März wurde ich von einer Journalistin gefragt, ob ich denn eigentlich noch optimistisch sei. Zuerst wusste ich nicht recht, was ich darauf antworten sollte. Nein, ich blicke nicht sehr optimistisch in die Zukunft. Meine eigentlich grundoptimistische Haltung ist mir in den letzten Jahren leider gründlich vergangen. Aber dann fand ich doch noch eine Antwort:

Der Kampf für KlimaGerechtigkeit lohnt sich auch, wenn wir ihn verlieren.

Roland Vossebrecker

 

„Doch dem Pessimismus des Verstandes sollte (…) immer der Optimismus unseres Willens gegenüberstehen: der Optimismus, eine gerechte und für zukünftige Generationen lebenswerte Welt zu schaffen. Optimismus, genauso wie Hoffnung, ist dabei nicht die Überzeugung, dass etwas unter allen Umständen gut ausgeht. Es bedeutet viel mehr, sich die Haltung und letztlich die Gewissheit zu eigen zu machen, dass solidarisches Handeln Sinn macht, egal wie die Dinge am Ende ausgehen.“

(Alexander Behr, aus Globale Solidarität, S. 14 oekom verlag, 2022)

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