MUTET UNS WAS ZU!

18.01.23 | Archiv

von Roland Vossebrecker

(Samstag, 14. Januar 2023, um 5 Uhr morgens, ich notiere mir die Kern-Gedanken zu diesem Artikel.

Die Stimmung ist aufgeheizt, es brodelt in Deutschland, die Klimabewegung ist in Aufruhr, heute wird die große Demo in Lützerath stattfinden. Hoffentlich bleibt es friedlich…

Die Enttäuschung und der Zorn über den Verlust von Lützerath ist riesig und richtet sich besonders gegen die Grünen. Teile der Klimabewegung werfen der Grünen Partei wegen des Deals mit RWE Hochverrat vor.

Ich selbst bin Mitglied der Grünen, habe die Aufgabe von Lützerath deutlich kritisiert und gehöre zu über 2.600 grünen Mitgliedern, die den offenen Brief „Grüne Grundwerte nicht verraten: Lützerath muss bleiben“ unterzeichnet haben. 

Mona Neubaur und Robert Habeck aber persönlich Verrat vorzuwerfen, ist – mit Verlaub – Quatsch! Auch wenn ich ihre Position in dieser Frage an entscheidender Stelle nicht teile, so habe ich doch nicht den geringsten Zweifel, dass die beiden das aus ihrer Sicht Beste und Sinnvollste für den Klimaschutz herausholen wollten.

Der Vorwurf des Verrats emotionalisiert und schafft ein Feindbild, an dem man sich abarbeiten kann. Das schafft vielleicht ein Ventil für den eigenen Frust, ist aber nicht konstruktiv.

Denn das Problem liegt tiefer, – und es betrifft auch, aber nicht nur die Grünen.)

Mutet uns was zu!

Deutschland verfügt mit Robert Habeck (Minister für Wirtschaft und Klimaschutz), Annalena Baerbock (Außenministerin, mit der erklärten Absicht einer „Klima-Außenpolitik“), an ihrer Seite Jennifer Morgan (Staatssekretärin für internationale Klimapolitik), und Steffi Lemke (Umwelt-Ministerin) über ein ehrgeiziges und kompetentes Team für den Klimaschutz, dazu über einen Kanzler, der sich im Wahlkampf als künftiger „Klimakanzler“ ankündigte.

 

Wieso wird Deutschland dennoch regelmäßig bescheinigt, die eigenen Klimaziele zu verfehlen, geschweige denn, den historisch wirklich gerechten Anteil am Klimaschutz zu leisten?1

Annalena Baerbock:

„Wir stehen vor entscheidenden Jahren für den Klimaschutz und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Es ist Zeit zu handeln.

Es geht um eine grundsätzlich andere Form des Wirtschaftens – ein Wirtschaften, das die planetaren Grenzen anerkennt und ohne Kohle, Öl und Gas auskommt.

Dass eine radikale Klimapolitik das neue „Realistisch“ ist, sagen Grüne ja nicht erst seit gestern.“

Radikale Klimapolitik ist das neue „Realistisch“, – was für eine großartige Aussage. Die Realität deutscher Klimapolitik sieht leider aber immer noch anders aus:

„Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) hat die Räumung von Lützerath verteidigt:

Es gehe dabei um die Energieversorgungssicherheit, „wir müssen das schlimmste Szenario gut vorbereitet haben, sagte sie in der WDR-Sendung „Aktuelle Stunde“. Dazu gehöre auch die „Zuhilfenahme von sehr klimaschädlicher Braunkohleverstromung zu sichern„.“2

In die gleiche Richtung zielte die Aussage von Robert Habeck:

„Wir haben im letzten Jahr tatsächlich eine brandgefährliche, eine realistische Gefahr gehabt, dass Deutschland kalt bleibt.“3

 

Da möchte ich korrigieren: Wir haben eine realistische Gefahr, dass Deutschland (und der Rest der Welt) heiß wird!

Genau hier sehe ich den Fehler deutscher (und nicht nur Grüner) Klimapolitik: Unsere „Versorgungssicherheit“, unser Wohlstand, unser Wirtschaftswachstum wird immer wieder priorisiert – weil man uns „radikale“ Klimapolitik nicht zumuten möchte.

Die Furcht vor dem Zorn vermeintlicher Möchte-gern-Gelbwesten aus dem rechten Lager scheint größer zu sein als vor dem Zorn einer enttäuschten Klimabewegung.

 

Man wähnt die Demokratie in Gefahr durch die Proteste überforderter Wutbürger, verdrängt aber gleichzeitig die Gefahr für die Demokratie, die sich aus der Klimakatastrophe ergeben werden. Wie werden unsere Demokratien und unser Wirtschaftssystem 200 Millionen Klimaflüchtlinge (Schätzung der Weltbank für 2050) aushalten?

 

Vor allem aber: Die Furcht vor der Zumutung eines „Wohlstandsverlustes“ – den die Autorin Katja Diehl treffend auf den Punkt brachte: „Letztlich ist nicht unser Wohlstand, sondern vor allem unser Überkonsum bedroht.“ – diese Furcht ist größer als die Furcht vor den Verlusten, die uns und dem Rest der Welt durch die Klimakatastrophe drohen.

 

Der deutsche Wohlstandsverlust durch die aktuelle Inflation ist für die meisten hierzulande (nicht für alle!) ein Luxusproblem. Wie mögen die Menschen in der Ukraine oder gar in Somalia darüber denken?

 

Gleichzeitig fehlt der Politik insgesamt auch der Mut, den nötigen Wandel wirklich gerecht zu gestalten, also jene von gestiegenen Energie- und Lebensmittelkosten wirklich stark Betroffenen entschieden zu helfen. Stattdessen gab es mit dem Tankrabatt eine staatliche Subventionieren fossiler Energie, ein 49-€ statt eines 9-€-Tickets und eine Heizkosten-Abschlags-Übernahme für Alle, eben auch für jene, die diese Hilfe gar nicht brauchen (für mich z. B.). 

Wie könnte man also eine Akzeptanz für eine neue, realistische, radikale Klimapolitik erreichen?

Wie erreichen wir die nötige Mehrheit für die notwendige, radikale Klimapolitik? 

Dafür bedarf es einer mutigen politischen Kommunikation, die die Gefahren der Klimaentwicklung, aber auch die Chancen eines Systemwandels klar benennt.

 

Unsere Aufgabe als Klimabewegung muss aber auch sein, einen gesellschaftlichen Wandel anzuregen und mitzutragen, und der Politik zu signalisieren:

Mutet uns was zu, mutet uns endlich was zu!

 

Denn wir wissen, dass die Rettung nicht umsonst zu haben ist, und wir wissen:

Klimaschutz ist teuer, die Klimakatastrophe aber wird viel teurer werden, und sie wird nicht nur in € und $ bezahlt, sondern mit Menschenleben!

Es gibt viel zu verlieren, – es gibt aber auch viel zu gewinnen. 

(Sonntag, 15. Januar.

Die Demo ist vorbei, unglaublich viele Menschen haben trotz widrigstem Wetter friedlich demonstriert. Leider gibt es auch erschreckende Bilder von Gewaltanwendung und heftige Vorwürfe beider Seiten, sowohl von der Polizei wie auch von den Aktivisten. 

Von jeder Gewaltanwendung distanzieren wir uns hiermit ausdrücklich!

Von den gewalttätigen Szenen haben wir vor Ort nichts mitbekommen. Wo wir uns aufgehalten hatten, war die Stimmung friedlich und entspannt, wenn auch entschlossen. 

Die Gräben zwischen Klimabewegung und den Grünen sind – das konnte man spüren – sehr tief, und beide Seiten sollten nun daran arbeiten, diese wieder zu überwinden und zur Zusammenarbeit zurückzufinden. Für die Bewegung gibt es aktuell im politischen Spektrum keine wirkliche Alternative, und die Grünen können es sich nicht leisten, den Rückhalt der Klimabewegung zu verlieren.

Vom Dorf Lützerath existiert nun nicht mehr viel, vom Geist und der Energie Lützeraths aber noch eine ganze Menge. Etwa 35.000 Menschen waren da mit der deutlichen Botschaft: 

RWE, lass die verdammte Kohle im Boden!)

Roland Vossebrecker

1  Deutschland wird, Stand heute, das eigene Klimaziel für 2030 verfehlen und hat praktisch keine Chance mehr, seinen gerechten Teil beizutragen, um das globale 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.

Deutschland gehört, ob man das wahrhaben will oder nicht, zu den Ländern, die weiterhin an einer Schnellstraße in die Klimahölle bauen – oder besser gesagt betonieren.“

https://www.klimareporter.de/klimakonferenzen/an-der-schnellstrasse-zur-hoelle-wird-weiter-betoniert 

2 https://www.sueddeutsche.de/politik/demonstrationen-duesseldorf-nrw-wirtschaftsministerin-verteidigt-raeumung-von-luetzerath-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230114-99-215857

3https://www.zdf.de/nachrichten/politik/habeck-interview-luetzerath-energieversorgung-100.html 

2 Kommentare
  1. Lieber Roland, deine Analyse scheint mir sehr treffend und deine Forderung uns mehr zuzumuten teile ich auch. Doch ist es kein Zufall, dass es zwar Proteste gegen einen Energiekonzern und die politischen Entscheidungen dazu gibt aber nicht, wo es unbequemer wird: Agrarwende, Ernährung, Verkehrswende, Bauwende, Rohstoffwende, usw. Auch die NGOs schaffen keine Mobilisierung, wenn die Verbraucher*innen zu sehr betroffen sind. Für die meisten zählt die Gegenwart mehr als die Zukunft.

    Antworten
    • Liebe Claudia,
      danke für Deinen Kommentar. Und ich stimme Dir zu: Es bräuchte auch auf Seiten der NGOs mehr Mut in diesen Dingen. Genau da wollen wir mit unserer Initiativ ansetzen. Das erfordert allerdings eine gute und sensible Kommunikation, bei der man einerseits die notwendigen Veränderungen anspricht, dabei aber auch vermittelt, was es dabei zu gewinnen gibt. (siehe z. B. „Besser Leben“ auf dieser Website)

      Antworten
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