BÖSE WÖRTER

21.04.23 | Statements

von Roland Vossebrecker

Böse Wörter

in der Klimakommunikation, Wörter wie Verantwortung, Schuld, Scham, Katastrophe, Angst, die wir lieber umgehen, verdrängen, vermeiden wollen.

 

Verantwortung 

Wieso ist „Verantwortung“ ein böses Wort? 

Wir möchten doch so gerne die Politiker*innen, die Wirtschaft, die Industrie etc. zur Verantwortung ziehen – und das ist ja auch absolut notwendig und richtig!

Nun ja, weil ich die eigene Verantwortung meine. Es gehört zu den natürlichen menschlichen Reflexen, bei allem Ungemach sofort anderen die Verantwortung zuzuschieben, sei es der*m Arbeitgeber*in, der Bundesbahn, dem Bundestrainer, dem Ehepartner, vor allem „denen da oben“. 

An die eigene Verantwortung möchte man lieber nicht erinnert werden. Sie anzunehmen ist anspruchsvoll und unangenehm, aber meiner Überzeugung nach zwingend notwendig. Sie muss sich auf die Zukunft richten, aber sie entsteht auch aus den Fehlern der Vergangenheit. 

Versagen

Sprechen wir es ruhig mal aus: Wir haben versagt! Wir, das ist meine Generation, meine Gesellschaft und ich ein Teil von ihr. Wachstums-, Wohlstands- und Fortschrittsversprechungen haben uns blind gemacht für die Kollateralschäden unserer Lebensweise. Die verführerische Bequemlichkeit unseres Konsummodells hat bei zu vielen – mich eingeschlossen – den hinterfragenden Blick zu lange getrübt.

Daraus ergibt sich eine

Schuld.

Diese anzuerkennen ist ein Schritt, der noch schmerzlicher aber gleichermaßen notwendig ist. Unsere Wohlstandsgesellschaft hat sich jahrzehntelang einbilden können, dass „alles immer besser wird“. Die Krisen des Klimas, des Artenschutzes, der globalen Gerechtigkeit holen uns nun ein, und wir müssen uns eingestehen, was wir bereits für einen Schaden angerichtet haben. 

Wie könnte eine ehrliche Auseinandersetzung mit MAPA (Most Affected People and Areas), mit betroffenen Menschen im globalen Süden ohne aufrichtiges Schuldgeständnis sonst möglich sein? 

Aus Schuld entsteht

Scham,

ein unangenehmes Gefühl, das aber zu einer gewissen Demut führen kann, – und führen sollte, in Anbetracht dessen, was auf die Menschheit zukommt. Denn das ist nichts weniger als eine lebensbedrohende

Katastrophe,

denn „Erderwärmung“ oder „Klimawandel“ sind verharmlosende Begriffe für Ereignisse, die sich bereits heute abspielen, die in Zukunft immer häufiger und heftiger auftreten und die „unsägliches menschliches Leid“ verursachen werden – so die Formulierung von 11.000 Wissenschaftler*innen in ihrem Aufruf zum „Klima-Notfall“ 2019.

Auch ein Worst-Case-Szenario, bei dem wegen einer Kettenreaktion der verschiedenen Kipppunkte im Klimasystem die Erhitzung so sehr außer Kontrolle gerät, dass das Überleben der Menschheit in Frage steht, wird von wissenschaftlicher Seite ernsthaft diskutiert.

Wie entmutigend ist es, den schlimmsten Fall vor Augen zu haben? Wie notwendig ist es, sich auch den schlimmsten Fall vorzustellen? Wie viel

Angst

macht das und wie geht man damit um? Es gehört sich nicht, von Angst zu sprechen, denn Angst kann lähmen, kann zu Verzweiflung und Resignation führen. 

Und doch:

„I want you to feal the fear I feal every day…” 

 

Ich möchte mal wieder persönlich werden:

Vielleicht sind es doch keine „bösen Wörter“, sondern – richtig verstanden – Anstöße, zum raus-aus-der-Passivität, raus aus dem man-müsste-mal-Modus, Anstöße zum aktiven Handeln.

Verantwortung, Schuld und Scham anzunehmen und mit Aktivismus zu begegnen, ist für mich der einzig gangbare Weg, und für mich die beste Weise, mit der der Angst vor den drohenden Katastrophen umzugehen:

Ich weiß um meine Verantwortung und um meine Schuld, ich schäme mich dafür, versagt zu haben, viel zu spät begriffen zu haben und viel zu langsam vom Verstehen zum Handeln gekommen zu sein, ich weiß von den Katastrophen, die heute passieren und von jenen, die der Menschheit noch bevorstehen, selbst im günstigsten Falle eines unter-2°-Szenarios. Und ich habe Angst!

Aber all das motiviert mich, weiterzumachen, zu kämpfen um jedes Zehntel Grad, um jedes Stückchen Gerechtigkeit, für die Vision eines besseren, klimagerechten Lebens.

“…and then I want you to act!” (Greta Thunberg)

 

 

Roland Vossebrecker

1 Kommentar
  1. danke fürs auf den punkt bringen

    Antworten
Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Neue Blogbeiträge

Hoffnung oder sowas.

Hoffnung oder sowas.

Hoffnung oder sowas. von Tabea SchünemannEine Weile sitze ich nun schon vor einem leeren Blatt, das die Überschrift „Hoffnung“ trägt.Nichts könnte die aktuelle Stimmung in meiner Umgebung besser ausdrücken, als ein leeres Blatt zum Thema Hoffnung. Umso dringlicher...

mehr lesen
Spontaner Aktivismus

Spontaner Aktivismus

Spontaner Aktivismusvon Roland VossebreckerNeulich sah ich beim Frühstück im ZDF-Morgenmagazin die Ankündigung eines Berichtes über die COP 29 in Baku, Aserbaidschan. Und dort fiel ein Satz, der mich spontan zu dieser Mail an das ZDF bewegte: Hallo ZDF, eben fiel im...

mehr lesen