Grüne Klima-Kommunikation

von Roland Vossebrecker

Das Thema Klima (-Krise, -Katastrophe, -Gerechtigkeit) kann und darf nicht ausschließlich ein Grünes Thema sein. Der Erhalt unserer aller Lebensgrundlagen muss ein Anliegen aller demokratischen Parteien sein.

Dennoch darf man von den Grünen allein schon deswegen am meisten erwarten, weil sie sich selbst als Klimaschutz-Partei versteht. Trotzdem, so meine ich, liegt auch in Grüner Klimakommunikation noch manches im Argen. Meine jahrelange Unzufriedenheit damit findet in diesem Artikel ihren Niederschlag:

„Dass eine radikale Klimapolitik das neue „Realistisch“ ist, sagen Grüne ja nicht erst seit gestern.“

Annalena Baerbock

Schön wär’s… 

Am Anfang und über allem steht die Frage, wie wir die Klimakrise verstehen. Ist sie eines von vielen zu lösenden Problemen, neben der Gesundheitspolitik, der Sozialpolitik, der Entwicklung von Gleichberechtigung, der Genderfrage usw. – alles wichtige Themen, zweifellos!

Oder ist sie eine existenzielle Krise, die buchstäblich alle anderen Fragen und Themen in den Hintergrund drängt, da es um das Überleben von Milliarden Menschen und den Fortbestand der Demokratie und der menschlichen Zivilisation geht – und deswegen bei allen politischen Fragen mitgedacht werden muss.

Wenn man sich nur ein wenig mit den Berichten des IPCC und vieler anderer wissenschaftlicher Veröffentlichungen befasst hat, dann weiß man, das Zweiteres der Fall ist. Das Budget für die Einhaltung der 1,5°-Gradgrenze ist in knapp drei Jahren aufgebraucht, Katastrophen häufen sich, werden immer weniger versicherbar, wir steuern auf gefährliche Kipppunkte zu oder haben sie bereits überschritten, – und die Emissionen steigen weiter.

Um dem zu begegnen, so finde ich, müssen wir uns von einem gefährlichen Märchen verabschieden, nämlich, dass es so weiter gehen könne wie bisher, nur mit etwas anderen Mitteln. Das ist, was aktuelle Politik (und nicht nur Grüne natürlich) allenthalben suggeriert: Wir rüsten auf E-Mobilität um und kaufen Bio-Shampoo, installieren eine Solaranlage, essen etwas weniger Fleisch, gestalten unsere Kreuzfahrt „nachhaltig“, retten damit das Klima und die Umwelt und die Weltmeere und müssen unseren Lebensstil und unser Konsummodell nicht hinterfragen.

Der Elefant im Raum lautet also:

Wann machen wir uns endlich ehrlich und sagen laut und deutlich, dass es auf unserem derzeitigen (westlichen) Luxus- und Konsum-Niveau nicht gehen kann?

Einmal im Jahr erinnert uns der Earth Overshoot Day an diese Tatsache: Für Deutschland liegt er in den ersten Mai-Tagen, das heißt, deutscher Durchschnitts-Lebensstil verbraucht drei Erden. Das wissen wir alle, wir sind einmal im Jahr dann ganz betreten – und machen weiter wie bisher! So lässt sich eine Klimakatastrophe und ein massives Artensterben, das unsere Existenz genauso bedroht, nicht verhindern.

Ich habe diese Frage in den letzten vielen Jahren immer wieder gestellt und regelmäßig hat man sich (leider auch bei den Grünen) vor einer Antwort systematisch gedrückt!

In privaten Gesprächen im grünen Umfeld hat mir allerdings bislang noch niemand widersprochen! In der Sache war jeder und jedem meiner Gesprächspartner*innen klar, dass es so in Anbetracht multipler Umweltkrisen natürlich nicht gehen kann. Und mit einer Perspektive auf globale Gerechtigkeit schon gar nicht!

Der einzige Einwand – dieser allerdings beinahe immer, lautete: Wenn wir das sagen, dann wählt uns niemand mehr. Verzicht käme eben nicht gut an.

Anders ausgedrückt: Die Wahrheit können wir den Wähler*innen nicht zumuten.

Dann wird an das Veggiday- und das Verbotsparteitrauma erinnert. Darauf möchte ich gleich noch eingehen.

Also stellt sich mir die Frage, wie grüne Klimakommunikation aussehen kann, aussehen muss.

Zunächst einmal: Ich halte die Angst vor Wahlstimmenverlust für grundsätzlich falsch. Ich möchte hier meiner Überzeugung Ausdruck geben, dass die Wahrheit, gut kommuniziert, immer eine Chance hat. Würde ich etwas anderes glauben, dann hätte ich längst aufgegeben!

Als Grüne sollten man sich Sorgen machen, eben jene Wähler*innen zu verlieren, die verstanden haben, worum es geht, und nicht jene, die weiterhin mit Zähnen und Klauen nur ihre Privilegien verteidigen wollen.

In vielen Gesprächen mit Aktivist*innen der Klimabewegungen, bei Demos, Camps, auf Diskussionsveranstaltungen, während verschiedener Bildungsreisen etc. habe ich immer wieder erfahren, wie groß die Enttäuschung, der Frust, die Bitternis ist über grüne Klimapolitik und Kommunikation, besonders über faule Kompromisse, die als Erfolg verkauft werden.

 

Meine wichtigste Forderung an eine Grüne Klimakommunikation lautet also:

Sagt die Wahrheit!

So schlicht wie treffend, Dank an Extinction Rebellion! 

Zur Wahrheit gehören zwei Erkenntnisse:

  1. Die Bedrohung ist groß, und sie betrifft alle!

Die sich anbahnende Klimakatastrophe bedroht die Gesundheit, die Freiheit, das Leben und Überleben aller Menschen. Die Kosten, sie zu verhindern oder wenigstens, sie zu lindern sind weitaus geringer als die Kosten, die die Klimakatastrophe verursachen wird. Und diese werden nicht nur in € und $ bezahlt, sondern mit Menschenleben!

Anders ausgedrückt: Nicht der Verlust deiner Pendlerpauschale, sondern die Klimakatastrophe bedroht deinen Wohlstand, deine Gesundheit, dein Leben.

Dazu wird gelegentlich angemerkt, dass Warnungen und Alarmrufe nichts (mehr) brächten. Schließlich würde die Wissenschaft schon seit Jahrzehnten warnen und ein breites Umdenken in der Bevölkerung fände trotzdem nicht statt. Das ist teilweise richtig. Der notwendige gesellschaftliche Bewusstseinswandel ist noch in weiter Ferne. Allerdings gibt es mittlerweile eine globale Klimabewegung, die die Wissenschaft allerdings sehr ernst nimmt. Trotzdem bleibt die bittere Wahrheit, dass die Warnungen in der Breite der Bevölkerung immer noch nicht ankommen.

Aber: Warum sollte man (wenn man sich nicht aus freien Stücken intensiv mit der Klima-Thematik beschäftigt), die ständigen Warnungen überhaupt ernst nehmen, wenn sie buchstäblich jedes Mal ohne erkennbare Reaktion der Politik bleiben?

2019 warnten etwa 11.000 Wissenschaftler*innen vor „unsäglichem menschlichen Leid“, wenn der Klimakatastrophe nicht entschlossen entgegengehandelt würde. Zwei Jahre später wurde der Appell mit 14.000 Wissenschaftler*innen erneuert. Kann man noch eindringlicher, noch drastischer formulieren?

Ein Notstand, ein Krisengipfel, eine Reaktion aus der Politik bleib aus. Ich habe nicht einen Kommentar dazu von prominenter politischer Stimme vernommen, auch von den Grünen nicht!

Dasselbe gilt auch für die verschiedenen Sachstandsberichte des IPCC, die einer nach dem anderen immer dramatischer ausfallen. Auch da gab es – dröhnendes Schweigen.

Hier mal eine kurze und recht willkürliche Aufzählung von Klima-Meldungen vom Oktober 2023:

Am 24.10.2023 veröffentlichen renommierte Ökologen, Klimafolgenforscher und Datenanalysten in der Zeitschrift „BioScience“ der Universität Oxford einen Aufruf, in dem es heißt: „Wir betreten klimatisches Neuland“ und sprechen von der Gefährdung der Lebensgrundlage aller Lebewesen und des Menschen selbst. Die Veränderungen seien derart extrem, dass sie Neuland darstellten und noch nie in einer solchen Form in der Menschheitsgeschichte aufgetreten seien.

Am selben Tag veröffentlicht die Plattform Klimareporter eine Studie, die belegt, dass der westantarktische Eisschild selbst bei optimistischster Klimaentwicklung nicht mehr zu retten sei. Auf lange Sicht bedeutet das Abschmelzen einen Meeresspiegelanstieg von etwa 5 Metern!

Am 25. benennt eine Forscher*innengruppe der UN-Uni Bonn sechs Kipppunkte, denen sich die Menschheit gefährlich nähert und die für sie zur Katastrophe werden könnten. Vier davon stehen in unmittelbarem Zusammenhang zur Klimaentwicklung, ein weiterer, das Artensterben, muss als Zwillingskrise verstanden werden.

Am 26. veröffentlichen mehr als 200 Fachjournale gleichzeitig die Forderung an die WHO, wegen der Klimakrise den globalen Gesundheitsnotstand auszurufen. 

Am selben Tag erreichen Meldungen der Rekorddürre im Amazonasgebiet die Nachrichten. Sonst gigantische Flüsse trocknen aus. Die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen und Tieren gehen verloren.

Zu keiner dieser Schreckensmeldungen habe ich auch nur eine einzige Reaktion aus der Politik gehört! Kein Innehalten, keine Reflektion, keine Demut, kein Nachdenken, keine Selbstkritik und schon gar keinen Kurswechsel. Auch nicht der Grünen! Ich finde das beschämend! 

Warum sollten also Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher diese Warnungen ernst nehmen, wenn die Politik sich dazu ausschweigt? Es liegt doch auf der Hand, dass man sich dann denkt, naja, so schlimm wird’s wohl doch nicht kommen. Ein Notfallplan (wie z. B. zu Coronazeiten) würden ganz anders aufgenommen werden.

Also noch einmal: „Das können wir unseren Wähler*innen nicht zumuten“ = „Die Wahrheit können wir den Leuten nicht zumuten, das ist passiver Populismus!

 

Die zweite Erkenntnis lautet:

  1. Wir sind verantwortlich.
    • für die globale Ungerechtigkeit
    • für die Folgen unseres Lebensstils

Das ist als bittere Wahrheit allerdings anspruchsvoll zu vermitteln. Und dennoch unbedingt notwendig. Das Eingeständnis, dass unser Wohlstand und Reichtum auf der Verbrennung von Kohlenstoff basiert, und dass wir als reiche Industrienation(en) die entscheidenden Mittel und Hebel in der Hand haben, das Notwendige und Gerechte zu tun, muss die Basis ehrlicher Kommunikation sein. 

Wie anders sollte sonst eine Verständigung mit MAPA1-Politiker*innen und Aktivist*innen funktionieren?

1Most Affected People and Areas

Zu dieser Ehrlichkeit gehört auch das klare Benennen globaler Ungerechtigkeiten, und damit verbunden das Hinterfragen unserer Privilegien, die bis heute auf Ausbeutung von Menschen, Ressourcen und Natur basieren, auf postkolonialen bis rassistischen Strukturen. Anders kann man z. B. das Fast-Fashion-System, angefangen von den Sklaverei-artigen Produktionsbedingungen in Südost-Asien bis zu den Müllhalden in der chilenischen Atacamawüste oder in Accra/Ghana nicht lesen.

Dasselbe gilt auch für die CO2-Emissionen, die für unseren Konsum entstehen, aber vielfach den produzierenden Ländern des globalen Südens angerechnet werden, und die die dramatischsten Folgen zu tragen haben.

Und damit geraten wir schnell in eine Verzichtsdebatte. Das gängige Argument lautet dann in etwa: Mit dem Narrativ „Wir müssen unseren Konsum und unseren Lebensstandard drastisch reduzieren“ entfache man halt keine Begeisterung, im Gegenteil.

Ich bin allerdings der Meinung, dass man mit etwas argumentativem Geschick durchaus überzeugend über Verzicht reden kann. So kann, so muss man darauf hinweisen, worauf wir heute bereits alles verzichten. Es ist gleichermaßen notwendig wie effektiv, die üblichen Gegenargumente offensiv aufzugreifen und umzudeuten, statt sich verschämt wegzudrücken, wie es damals beim Misserfolg des Veggie-Days passierte! Heute wäre der wahrscheinlich ziemlich erfolgreich. Manchmal braucht man eben auch etwas Durchhaltevermögen.

Den Grünen haftet beharrlich das Image einer Verbotspartei an, – und sie haben eine beschämend irrationale Angst davor. Warum eigentlich? Warum nicht so:

Verbotspartei? Ja klar! Wir möchten alles verbieten, was die Gesundheit, die Freiheit und das Leben von uns und anderer Menschen bedroht. 

Mord und Totschlag sind verboten, Raub und Vergewaltigung sind verboten, falsch Parken ist verboten. Warum nicht grob klimaschädigendes Verhalten?

Und wir sind die Erlaubnispartei: Wir erlauben künftigen Generation ein sicheres Weiterleben. Wir erlauben den Menschen im globalen Süden, ohne Ausbeutung zu leben. Wir erlauben uns ein gesundes und sicheres Leben mit weniger Lärm, Luftverschmutzung, mit grünen Innenstädten, mit Raum zur Begegnung usw. usf.

Und damit sind wir beim dritten Punkt gelingender grüner Klima-Kommunikation: 

  1. Die positive Vision

Können die Grünen denn wirklich nichts Besseres anbieten? Nicht mehr als nur eine Krisenverwaltung? Wirklich nicht mehr als ein weiter-so mit etwas anderen Mitteln?

Im Europa-Wahlprogramm der Grünen ist sieben Mal von Grünem Wohlstand die Rede, von „Wohlstand bewahren“, von „klimaneutralem Wohlstand“, ohne dass definiert wird, was das eigentlich sein soll. Meine Frage diesbezüglich blieb –wieder einmal – unbeantwortet!

Und auch ein Grünes Wachstum wird propagiert, aber:  Was soll eigentlich wachsen? Und was muss schrumpfen? Verkehr, Fleischkonsum, Ressourcenverbrauch, unser sonstiger Konsum, die CO2-Emissionen, die Ungleichheit, etc.

Und eine ganz wichtige Frage wird nie gestellt: Wann ist es eigentlich genug?

Auf der Basis grüner Werte und Prinzipien der Gerechtigkeit, der Menschenrechte sollten eine grüne Klima-Kommunikation und -Politik ein attraktives und gleichermaßen verantwortungsvolles Angebot machen, eine positive Vision.

Wir brauchen einen neuen nachhaltigen, zukunftsfähigen, global gerechten Gesellschaftsvertrag, – lebenswert für Alle.

Zu guter Letzt: Die Politik hinkt dem gesellschaftlichen Wandel immer hinterher, leider. Aber welche Kraft könnte es entfalten, würden sich die Grünen an die Spitze einer global-solidarischen Gerechtigkeitsbewegung setzen? Einer Bewegung, die heute so dringend gestärkt werden muss angesichts des weltweiten Erstarkens eines ungezügelten Nationalegoismus.

So könnte Grüne Politik selbst in der Opposition größte Wirkung entfalten.

„Wir müssen überlegen, welche Gesellschaft wir sein könnten. Von einer Zukunft erzählen, die so lebenswert und schön ist, dass andere auch dorthin wollen, und den Wunsch auslöst, diese Welt mitzugestalten. Erst dann wird aus scheinbarem Verzicht Gewinn.“

Carola Rackete

 

Roland Vossebrecker

 

 

1 Kommentar
  1. Vielen Dank für diesen Beitrag! Genau das denke ich auch.

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