Wir fahren zusammen!

Interview mit Eisenbahnfahrzeugführer Nils

14.02.24 | Aktuelle Themen

von Leandro Condjo

Nils Rasche, 23 Jahre Alt, Werkstudent bei der Rhein-Neckar Verkehr GmbH tätig als Eisenbahnfahrzeugführer

Wie gefällt dir dein Beruf? 

Als studentischer Fahrer finde ich meinen Job ganz cool. Ich werde nach Tarifvertrag bezahlt, was für einen studentischen Job gut bezahlt ist, im Vergleich Hiwi – oder Gastro- Jobs. Man muss in Relation sehen, dass dies nicht mein Vollzeitjob ist und ich keine Mitglieder im Haushalt habe, die ich versorgen muss. Mir gefällt die flexible Arbeitseinteilung, welche natürlich auch der Personalsituation geschuldet ist. Wenn ich arbeiten will, gibt es immer was: Ich kann spontan anrufen und einem Dienst zugewiesen werden. Wenn ich nicht arbeiten will, arbeite ich nicht. Im Vergleich zu vorherigen Jobs habe ich das Gefühl, dass ich hier etwas sinn-stiftendes mache. Vorher hatte ich einen normalen Bürojob, welcher mich inhaltlich nicht interessiert hat. Mir gefällt der soziale Mehrwert, den ich beitragen kann.

Was erhoffst du dir aus den kommenden Tarifverhandlungen?

Die RNV hat einen Haustarifvertrag, welcher im Gegensatz zu dem Flächentarifvertrag erst nächstes Jahr verhandelt wird. Ich habe gehört, dass sich ein Tarifvertrag erhofft wird, in welcher unter anderem geteilte Schichten abgeschafft werden sollen. Dort kommt man z.B. um 10 Uhr morgens zum Schichtbeginn – man fährt bis 13 Uhr und danach hat man 4 Stunden unbezahlte Pause, bis man den Dienst wieder antritt. Man hängt in der Zwischenzeit herum – in meinem Fall lohnt es sich nicht, in der Zeit Nachhause zu gehen. Speziell für die RNV würde ich mir eine Samstagszulage wünschen. Die ist eigentlich in der Branche üblich. Es gibt auch Sonntags- und Nachtzulagen. Ich finde, das müsste honoriert werden. Ich bin in Teilzeit mit einem Beschäftigungsgrad von 11% angestellt. Aber aktuell arbeite ich im 40 bis 50 Prozent Bereich. Dafür werde ich bezahlt, aber Urlaubsanspruch, Weihnachtsgeld und Inflationsausgleich bemessen sich anhand der 11 Prozent. Bei der Hamburger Hochbahn gefordert, dass im Tarifvertrag ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages vorgesehen wird, sodass der Vertrag an die tatsächlichen Begebenheiten angepasst werden können. Das wäre etwas, was sich viele Kolleg*Innen und ich wünschen.

Wie entstand der Kontakt zu der Initiative „wirfahrenzusammen“?

Ich habe einen parteipolitisch aktiven Freund, welcher bei dem Plenum von wfz dabei war. Er meinte, dass das doch vielleicht etwas für mich wäre.  

Wie ist zurzeit die Stimmung unter den Mitarbeitenden des Ö(PN)V? 

In den typischen Pausen-Rundfunk Gesprächen geht es meistens nicht um den Lohn, sondern es wird sich am meisten über die Einteilung der Dienste und die Menge der Arbeit unterhalten. Das scheint der größte Knackpunkt zu sein. Seit 2 Jahren werden ständig Ruhetage durchgefahren und unter dem Stammpersonal werden Hunderte von Überstunden angehäuft und somit die Grenzen der betrieblichen und gesetzlichen Arbeitszeitregeln ausgeschöpft. Die Zeit zwischen den Diensten ist oft nur 10 Stunden und hier muss man sich entscheiden, ob man nun schläft oder Sachen zu erledigen hat. Das führt zu einem relativ hohen Krankenstand. Trotz alldem kann das Regelangebot nicht erhalten werden, was megafrustrierend ist. Nach meinem Empfinden geht es um die tatsächliche Lohntabelle relativ selten.

Gab es für dich einen Bezug zu dem Thema Klimawandel/Klimaschutz bevor „wirfahrenzusammen“? 

Ich würde mich nicht als „Klimaaktivist“ bezeichnen, aber ich war schon auf der ein oder anderen Fridays for Future Demo dabei. Ich bin an der Hochschule bei linkspolitischen Gruppen aktiv. Es ist immer ein Thema, obwohl es keine Gruppe ist, die sich am Klima-Aktivismus orientiert.

Sowohl die Klimagerechtigkeitsbewegung als auch die Gewerkschaften verfolgen mit WFZ gemeinsame Ziele? Wie empfindest du die Zusammenarbeit?

In der Ortsgruppe Heidelberg läuft das sehr gut, wir werden von der zuständigen Gewerkschaftssekretärin von ver.di unterstützt, zum Beispiel bei dem Mieten von Räumen und das Knüpfen von Kontakten mit gewerkschaftlichen Strukturen im Betrieb. Eher ist die Durchdringung in die Belegschaft hinein ein Problem. Das ist die deutliche härtere Nuss, weil wirfahrenzusammen (noch) überwiegend aktivistisch geprägt ist. Die Belegschaft ist stark unterrepräsentiert – neben mir gibt es noch einen aktiven studentischen Fahrer (bei wfz). In anderen Ortsgruppen ist gar kein Fahrpersonal beteiligt. Wir arbeiten daran, über die Vertrauenspersonen ver.dis im RNV-Betrieb mehr Aufmerksamkeit von der Belegschaft zu bekommen.

Hast du Vermutungen, warum es schwierig ist zur Belegschaft durchzudringen?

Wir haben Applaus erhalten, nach dem wir uns im Betrieb vorgestellt hatten und im Zuge dessen haben wir Termine zum persönlichen Kennenlernen organisiert. Die eingeladenen Vertrauenspersonen sind nicht erschienen mit der Entschuldigung, dass sie fahren müssen. Ich denke nicht, dass dies alles erklärt. Ich glaube, dass Aktivismus und Fahrdienst demografische Unterschiede aufweisen, insbesondere das der Aktivismus akademisch geprägt. Da kommen Faktoren wie Alter, Familienverpflichtungen und Verfügbarkeit von Freizeit dazu.

Wir werden in der Zukunft solche Termine früher ankündigen, damit diese nicht in Konflikt mit den Dienstplänen kommen.

Was konnten Klimaaktivist*Innen und Mitarbeitende des Ö(PN)V durch die gemeinsame Arbeit voneinander oder übereinander lernen? 

Da habe ich nicht so viel mitbekommen. Ich wünsche mir von meinen Kolleg*Innen in der Belegschaft, dass sie sich mehr den Idealismus und Handlungswillen der Klimagerechtigkeitsbewegung aneignen würden. Mir ist bewusst, dass die Alltage von Aktivist*Innen und Mitarbeitenden stark unterschiedlich sind und dass das hier jetzt so leicht dahin gesagt klingt, weil die Alltage von ganz anderen Herausforderungen gezeichnet sind, aber ein bisschen mehr jugendlicher Idealismus wäre ganz schön. In der Ortsgruppe haben wir schon besprochen, dass Klimaaktivist*Innen die Anliegen der Belegschaft mehr berücksichtigen sollen. Zum Beispiel hatten wir in der Heidelberger Ortsgruppe eine Diskussion über unseren Standpunkt zu den Themen 9€-Ticket und kostenloser Nahverkehr, welche ich persönlich befürworte. In der bundesweiten Vernetzung von wirfahrenzusammen haben wir mitbekommen, dass die Sorgen des Fahrpersonals, die damit einhergehen, nicht ernst genommen worden und Diskussionen abgewürgt worden sind. Es ist belegt, dass in der Laufzeit des 9€-Tickets es zu mehr Übergriffen auf das Fahrpersonal kam und in überfüllten Fahrzeugen gefährliche Situationen entstanden sind. Es hat sich auch Fahrpersonal gemeldet, welches auch Opfer eines Überfalls wurde. Ich finde, dass dies in die Diskussion einfließen sollte, was in der Ortsgruppe Heidelberg gut funktioniert.

Wie stehst du zu der „Verkehrswende“? Was müsste sich deiner Meinung nach in Deutschland ändern? (Bevölkerung, Politik, Betrieb etc…) 

Das ist eine sehr sehr große Frage, bei welcher ich nicht weiß wo ich da Anfangen sollte. Bei der Verkehrswende sollen Leute vom motorisierten Individualverkehr zu allen anderen Verkehrsformen geholt werden wie Fahrrad und ÖPNV. Da kann man mit Maßnahmen wie dem 9€-Ticket arbeiten, aber der ÖPNV ist schon an seiner Kapazitätsgrenze – Die Straßenbahn in Mannheim ist oftmals so voll, dass die Türen nicht mehr zu gehen. Ein vergünstigtes Ticket ist politisch einfach und zeigt sofort Wirkung. Schwieriger ist der Ausbau, welcher damit einhergehen muss. Da tut sich die Politik oft schwierig – mit Sachen die langfristig angelegt sind und Zeit brauchen bis sie positive Ergebnisse liefern. Der Ausbau ist nun mal mühsam und aufwendig. Da bräuchte es mehr politischen Mut: Aus den Kreisen der Union hört man oft über ein Nebeneinander der Verkehrsformen, wobei man die Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausspielen darf. Dieses Argument halte ich für eine Farce – außerhalb von Ballungsräumen muss man die ÖPNV-Angebote verbessern, aber in der Stadt muss dem motorisierten Individualverkehr Platz weggenommen werden. Der Fahrradweg wird nur gebaut, wenn dafür eine Reihe Parkplätze oder eine Autospur wegfällt. Ansonsten kommt er nicht. Das sieht man in Heidelberg, da hier die Stadtverwaltung den ÖPNV gleichberechtigt mit allen anderen Verkehrsteilnehmenden sieht. In Mannheim ist die Straßenbahn an allen Ampeln bevorrechtigt und kann Einfluss auf die Ampelschaltung nehmen. In Heidelberg ist das nicht gewollt, was die Zuverlässigkeit senkt. Langfristig kann man nicht nur den ÖPNV immer attraktiver machen, sondern es muss auch der MIV (motorisierter Individualverkehr) unattraktiver gemacht werden.

Gibt es irgendwas, was du der Klimagerechtigkeitsbewegung mitgeben möchtest?

Ich wünsche mir, dass Klimagerechtigkeitsbewegungen ihre Kräfte mehr bündeln würden. Ich habe das Gefühl, dass dieses Problem oft in linkspolitischen Projekten auftaucht. Aufgrund von kleinen Meinungsverschiedenheiten wird nicht mehr zusammengearbeitet, z. B. im Hinblick auf Solidarität mit der letzten Generation. Diese Konflikte sorgen dafür, dass viel Energie in das sich einig werden investiert werden muss. Dafür habe ich keine Lösung, aber es sollte mehr Energie in die Verwirklichung der Ziele fließen. 

Das Interview führte Leandro Condjo.

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