BÖSE WÖRTER

BÖSE WÖRTER

BÖSE WÖRTER

von Roland Vossebrecker

Böse Wörter

in der Klimakommunikation, Wörter wie Verantwortung, Schuld, Scham, Katastrophe, Angst, die wir lieber umgehen, verdrängen, vermeiden wollen.

 

Verantwortung 

Wieso ist „Verantwortung“ ein böses Wort? 

Wir möchten doch so gerne die Politiker*innen, die Wirtschaft, die Industrie etc. zur Verantwortung ziehen – und das ist ja auch absolut notwendig und richtig!

Nun ja, weil ich die eigene Verantwortung meine. Es gehört zu den natürlichen menschlichen Reflexen, bei allem Ungemach sofort anderen die Verantwortung zuzuschieben, sei es der*m Arbeitgeber*in, der Bundesbahn, dem Bundestrainer, dem Ehepartner, vor allem „denen da oben“. 

An die eigene Verantwortung möchte man lieber nicht erinnert werden. Sie anzunehmen ist anspruchsvoll und unangenehm, aber meiner Überzeugung nach zwingend notwendig. Sie muss sich auf die Zukunft richten, aber sie entsteht auch aus den Fehlern der Vergangenheit. 

Versagen

Sprechen wir es ruhig mal aus: Wir haben versagt! Wir, das ist meine Generation, meine Gesellschaft und ich ein Teil von ihr. Wachstums-, Wohlstands- und Fortschrittsversprechungen haben uns blind gemacht für die Kollateralschäden unserer Lebensweise. Die verführerische Bequemlichkeit unseres Konsummodells hat bei zu vielen – mich eingeschlossen – den hinterfragenden Blick zu lange getrübt.

Daraus ergibt sich eine

Schuld.

Diese anzuerkennen ist ein Schritt, der noch schmerzlicher aber gleichermaßen notwendig ist. Unsere Wohlstandsgesellschaft hat sich jahrzehntelang einbilden können, dass „alles immer besser wird“. Die Krisen des Klimas, des Artenschutzes, der globalen Gerechtigkeit holen uns nun ein, und wir müssen uns eingestehen, was wir bereits für einen Schaden angerichtet haben. 

Wie könnte eine ehrliche Auseinandersetzung mit MAPA (Most Affected People and Areas), mit betroffenen Menschen im globalen Süden ohne aufrichtiges Schuldgeständnis sonst möglich sein? 

Aus Schuld entsteht

Scham,

ein unangenehmes Gefühl, das aber zu einer gewissen Demut führen kann, – und führen sollte, in Anbetracht dessen, was auf die Menschheit zukommt. Denn das ist nichts weniger als eine lebensbedrohende

Katastrophe,

denn „Erderwärmung“ oder „Klimawandel“ sind verharmlosende Begriffe für Ereignisse, die sich bereits heute abspielen, die in Zukunft immer häufiger und heftiger auftreten und die „unsägliches menschliches Leid“ verursachen werden – so die Formulierung von 11.000 Wissenschaftler*innen in ihrem Aufruf zum „Klima-Notfall“ 2019.

Auch ein Worst-Case-Szenario, bei dem wegen einer Kettenreaktion der verschiedenen Kipppunkte im Klimasystem die Erhitzung so sehr außer Kontrolle gerät, dass das Überleben der Menschheit in Frage steht, wird von wissenschaftlicher Seite ernsthaft diskutiert.

Wie entmutigend ist es, den schlimmsten Fall vor Augen zu haben? Wie notwendig ist es, sich auch den schlimmsten Fall vorzustellen? Wie viel

Angst

macht das und wie geht man damit um? Es gehört sich nicht, von Angst zu sprechen, denn Angst kann lähmen, kann zu Verzweiflung und Resignation führen. 

Und doch:

„I want you to feal the fear I feal every day…” 

 

Ich möchte mal wieder persönlich werden:

Vielleicht sind es doch keine „bösen Wörter“, sondern – richtig verstanden – Anstöße, zum raus-aus-der-Passivität, raus aus dem man-müsste-mal-Modus, Anstöße zum aktiven Handeln.

Verantwortung, Schuld und Scham anzunehmen und mit Aktivismus zu begegnen, ist für mich der einzig gangbare Weg, und für mich die beste Weise, mit der der Angst vor den drohenden Katastrophen umzugehen:

Ich weiß um meine Verantwortung und um meine Schuld, ich schäme mich dafür, versagt zu haben, viel zu spät begriffen zu haben und viel zu langsam vom Verstehen zum Handeln gekommen zu sein, ich weiß von den Katastrophen, die heute passieren und von jenen, die der Menschheit noch bevorstehen, selbst im günstigsten Falle eines unter-2°-Szenarios. Und ich habe Angst!

Aber all das motiviert mich, weiterzumachen, zu kämpfen um jedes Zehntel Grad, um jedes Stückchen Gerechtigkeit, für die Vision eines besseren, klimagerechten Lebens.

“…and then I want you to act!” (Greta Thunberg)

 

 

Roland Vossebrecker

VERZICHT NEU BESETZEN

VERZICHT NEU BESETZEN

Verzicht neu besetzen

von Roland Vossebrecker

Verzicht neu besetzen

Christian Lindner: 

„Es sind hierzulande – in Deutschland insbesondere – ja viele unterwegs, die predigen einen Verzicht auf Wachstum.“

„Manche wollen Klimaschutz machen mit Askese, Verbot, Verzicht, kein Wachstum – der Lebensstandard des Jahres 1995, so schlecht war der doch auch nicht –; kann man alles wollen! Wir werden auf dem Wege möglicherweise auch Moralweltmeister werden. (…)“

Verzicht ist ein Begriff, der in der politischen Debatte ziemlich in Verruf geraten ist, – nein, der systematisch in Verruf gebracht wurde. Schon die immer wieder anzutreffende Formulierung des predigen dient dazu, Verzicht als religiös oder sektiererisch zu diffamieren. Als ginge es ums Predigen und nicht ums Praktizieren!

Auch „Klimakanzler“ Olaf Scholz stieß ins selbe Horn:

 „Der gemeinsame Konsens dieser Regierung besteht nicht darin, überall Verzicht zu predigen – das tun wir gar nicht –, sondern auf technologischen Fortschritt und dynamisches Unternehmertum zu setzen.“

Verzicht wird zum Tabu, kaum jemand mag noch drüber sprechen, schon gar nicht in der Politik. Das überall gelebte und propagierte Ideal ist das der „Freiheit“, das leider zu einem Synonym für Rücksichtslosigkeit und Egoismus verkommt.

 

Brauchen wir eine neue Definition des Begriffes? Wie können wir den Verzicht neu formulieren und wieder positiv besetzen? Oder brauchen wir andere, unbelastete Begriffe?
Einige Vorschläge:

Suffizienz: 

Der Begriff wird im Sinne der Frage nach dem rechten Maß sowohl in Bezug auf Selbstbegrenzung, Konsumverzicht oder sogar Askese, aber auch Entschleunigung und dem Abwerfen von Ballast gebraucht. In allen Fällen geht es um Verhaltensänderungen (insbesondere) als Mittel des Umweltschutzes.
(Wikipedia)

 

Genügsamkeit: bezeichnet 

  • Bescheidenheit, eine zurückhaltende Verhaltensweise
  • Dankbarkeit, eine vom Dank erfüllte Haltung und Empfindung
  • Enthaltsamkeit, den Verzicht auf bestimmte Genussmittel
    (Wikipedia)

 

Minimalismus, Einfaches Leben: 

oder freiwillige Einfachheit bezeichnet einen Lebensstil, für den das Prinzip der Einfachheit zentral ist. Ein solches Leben kann sich beispielsweise durch die freiwillige Reduzierung des Besitzes – bekannt als Minimalismus – oder den Versuch der Selbstversorgung auszeichnen.
(Wikipedia)

 

Degrowth: bezeichnet eine Verringerung von Konsum und Produktion und damit auch des BIPs als ein Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und Wohlbefinden.
(Lexikon der Nachhaltigkeit)

 

Das ist alles gut und richtig, aber vielleicht geht es auch ganz anders. Halten wir einfach dagegen:

 

Verzicht ist geil

Hierbei geht es um nicht weniger als um eine Geisteshaltung, eine Lebenseinstellung, um Widerstand gegen einen egoistischen und zerstörerischen Zeitgeist.

  • Mit dem Verzicht aufs Auto, Flugzeug, Kreuzfahrtschiff etc. verzichtet man darauf, den eigenen CO2-Fußabdruck extrem zu vergrößern.
  • Mit dem Verzicht auf fast fashion verzichtet man auf Sklaverei-artige Ausbeutung von Menschen, hauptsächlich von Frauen in Südost-Asien (Bangladesch, Kambodscha etc.) 
  • Mit dem Verzicht auf Fleisch verzichtet man auf die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes.
  • Mit dem Konsumverzicht unterlässt man das Vermüllen von Umwelt und Meeren, und auch des eigenen Lebens, denn:

Man kann nicht nur auf etwas, sondern auch für etwas verzichten!

  • Jeder Verzicht eröffnet auch Freiräume.
  • Verzicht befreit von unnötigem Krempel und schenkt dadurch das Wertvollste: Zeit.
  • Verzicht befreit von Schuld.
  • Verzicht rettet Leben. 
  • Verzicht verleiht das Gefühl von Selbstwirksamkeit.

Zum Abschluss noch mal Christian Lindner: „Ich will nicht verzichten, und ich will auch nicht, dass andere verzichten müssen.“

Ob er mal darüber nachgedacht hat, auf was die Menschen in Somalia so alles verzichten müssen?

 

Roland Vossebrecker

VOM PASSIVISMUS

VOM PASSIVISMUS

Vom Passivismus

von Tabea Schünemann und Roland Vossebrecker

In einem gut sortierten Buchladen fand ich neulich im „Klimaregal“ dicht beieinander u. a. folgende Titel:

Der Klimaschutz-Kompass

Werde ein Erdenretter

Bewegt Euch. Selber! Wie wir Mobilität (…) neu erfinden

Zero Waste für Einsteiger

Besser leben ohne Plastik 

Lasst uns den Planeten retten

und sogar

Klimaschützen kinderleicht

Es ist offensichtlich kein Mangel an guten Ratgebern für ein ökologisches, ein nachhaltiges, ein klimagerechtes Leben. Dazu kommt ein unübersehbares Angebot an vorzüglichen Ratgeberseiten im Internet. 

Wieso habe ich trotzdem den Eindruck, dass sich gesellschaftlich viel zu wenig tut? Und viel zu langsam? Wo doch Klimaschützen kinderleicht sein soll?

Ja, es gibt auch positive Tendenzen. Die Zahl der Veganer*innen ist in Deutschland von 2016 bis 2020 von 0,8 auf 1,1 Millionen gestiegen, die der Vegetarier*innen von 5,3 auf 6,5 Millionen. Fast zeitgleich erreichte aber auch der Anteil von SUV 2021 an verkauften Neuwagen mit knapp über 25 % einen neuen Rekordwert.

Auch beim Bewusstsein für die Dringlichkeit der Krise und beim Engagement für den Klimaschutz gibt es Licht und Schatten. Erfreulicherweise gibt es zahlreiche kleine und große Initiativen, Vereine und Protestbewegungen, die sich mit Leidenschaft dem Thema widmen. Auf der anderen Seite aber scheinen viele Menschen die Dramatik der Lage noch gar nicht erfasst zu haben.

Radikaler Aktivismus? 

Ein echter gesellschaftlicher Durchbruch lässt immer noch auf sich warten. Klimagerechtes Leben ist eben leider immer noch die Ausnahme. In diesem Kontext ist es dann fatal, dass jene, die die Dringlichkeit der drohenden Katastrophe erkennen und sich engagieren z. T. als „radikale Aktivist*innen“, als „Klimaterroristen“ (richtigerweise das Unwort des Jahres 2022!) diffamiert werden. 

Das Eintreten für Klimagerechtigkeit, die Forderung eines 100 Milliarden-Fonds für sozial gerechten Klimaschutz, die globalen Klimastreiks von Fridays for Future und auch die Formen gewaltlosen, zivilen Ungehorsams von Extinction Rebellion oder Letzte Generation, all dies ist nicht radikal. Radikal ist es, die Warnungen der Wissenschaft zu ignorieren und weiterzumachen wie bisher. Radikal ist es, sehenden Auges und mit Vollgas vor die Wand zu fahren!

Wieso aber fällt es vielen so schwer, aktiv zu werden?

Bei meinen vielen Gesprächen mit Passant*innen an unseren IKGL-Ständen sind mir zwei Argumentationsmuster aufgefallen, die beide gleichermaßen frustrierend sind:

Viele reagieren in etwa so: „Weiss de, janz ehrlich, also, wenn de mich frägs, datt iss doch eh alles zu spät, da iss nix mehr zu machen.“ – meist verbunden mit „Die kriegen datt doch eh nich hin!“ Die (!), nicht wir!

Wenn ich mal ganz ehrlich bin: Ich glaube diesen Leuten nicht! Ist ihnen wirklich bewusst, was sie da sagen? Machen sie sich klar, was das „eh zu spät“ wirklich bedeuten würde? Kann man so etwas einfach so im lockeren Stammtisch-Tonfall raushauen? Könnte man denn mit dieser Aussicht auf den nahen Weltuntergang noch ruhig schlafen oder den Alltag bewältigen?

Nein, ich vermute hier eine recht durchschaubare Methode, sich davor zu schützen, selbst aktiv werden zu müssen.

Eine andere Linie mit dem gleichen Effekt verfolgen jene, die etwa so argumentieren: „Klimagerecht Leben? Mache ich ja schon, ich fahre E-Bike!“ (Habe ich wörtlich so gehört!)

Prima, es ist wirklich gut, E-Bike zu fahren, wenn man dabei auf das Auto verzichtet. Noch besser wäre Bike ohne E! Aber zu glauben, dass das schon das klimagerechtes Leben bedeutet? O ha…

Ohnehin assoziieren die allermeisten mit dem klimagerechten Leben fast immer nur die Reduktion von etwas CO2. Für Gerechtigkeit reicht das aber noch lange nicht aus. In unserem „Vertrag mit Dir selbst“ ist die CO2-Einsparung selbstverständlicher, aber nicht wichtigster Bestandteil. Mit Konsumverzicht, Fairness, klimagerechtem Spenden und politischem Engagement kann man wesentlich mehr Wirkung entfalten.

Fatalerweise glauben aber viele, dass sie ihren Anteil schon geleistet hätten, wenn sie ab und zu das Auto stehen lassen, nur noch zwei Mal im Jahr in den Urlaub fliegen oder sich eine „klimapositive“ Hautcreme kaufen.

Offensichtlich ist das wirklich klimagerechte Leben ein Stück weit anspruchsvoller, und auch wir, die Initiative Klimagerecht Leben, müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Schritt vom Passivismus weg und hin zum wirkungsvollen Aktivismus kein kleiner ist, dass es tatsächlich vieler einzelner Schritte bedarf:

  • Ein Bewusstsein für die Dringlichkeit der Krise entwickeln.
  • Verdrängung überwinden.
  • Die eigene Verantwortung begreifen.
  • Rechtfertigungsreflexe durchschauen und beenden.
  • Lähmung und Ohnmacht überwinden.
  • Wirkungs- und Handlungsmöglichkeiten entdecken. 
  • Hemmungen überwinden und Haltung zeigen.

Es ist ein Weg mit einer Reihe von Hürden, die man überwinden muss. Aber man kann ihn gehen. Und Selbstwirksamkeit erfahren.

 

Aktivismus muss wieder positiv besetzt werden. 

Denn das Problem sind die Passivist*innen! 

Radikaler Passivismus!

Nichtstun ignoriert die Konsequenzen der eigenen Lebensentscheidungen und die Tatsache, dass unser Wohlstand auf der Ausbeutung anderer basiert. Andere, die zwar weit weg scheinen oder nicht so aussehen wie wir, aber dennoch Menschen mit Rechten und Würde sind. Leider ist unser System so gebaut, dass Gerechtigkeit die Ausnahme bleibt. Wer dabei passiv mitmacht, stützt das ungerechte System.

Aktiv zu sein heißt: Ich bin nicht einverstanden mit dem Ist-Zustand. Ich habe eine Vision einer besseren Welt!
Aktiv sein bedeutet, nicht mehr gleichgültig zu sein.

Nichts zu tun, passiv bleiben ist auch eine Entscheidung, eine für eine schlechtere Welt! 

Tabea Schünemann und Roland Vossebrecker

WARUM POLITIK?

WARUM POLITIK?

Warum Politik?

von Tabea Schünemann und Roland Vossebrecker

Selbstverpflichtung zum politischen Engagement

Die verschiedenen Punkte im Vertrag mit dir selbst unserer Initiative Klimagerecht Leben stellen für unterschiedliche Menschen unterschiedlich hohe Hürden dar. Die eine lebt bereits CO2-ärmer, kann aber das üppige Konsumieren noch nicht lassen. Ein anderer tut sich mit dem klimagerechten Spenden schwer. Anderen liegt die überzeugende Kommunikation nicht.

Ein Punkt im Vertrag scheint für manche eine besondere Schwierigkeit zu sein:
Die Selbstverpflichtung zum politischen Engagement. Das scheint dem einen oder der anderen auf den ersten Blick nicht logisch oder notwendig. Gerade in Zeiten von Politikverdrossenheit mag es vielleicht der Aspekt des Vertrages sein, bei dem sich manche überfordert fühlen.

Allerdings ist eine Intention und der Effekt dieses Punktes, langfristig ein Gefühl von Überforderung Einzelner in ihrer Lebensgestaltung zu vermeiden oder wenigstens zu verringern, indem die politischen Verantwortungsträger*innen Rahmenbedingungen schaffen, die ein klimagerechtes Leben erleichtern. 

Ohne politisches Engagement würden wir uns zurecht den Vorwurf einhandeln, den Klimaschutz zu privatisieren. Das wollen wir auf keinen Fall! Wir bilden uns ja nicht ein, mit klimagerechtem Leben die Krise abwenden zu können. Es wäre eine maßlose Überforderung, als Einzelne die Welt retten zu müssen. Das kann nur entschlossenes, politisches Handeln. 

Klimagerechtes Leben wird uns im aktuellen System schwer gemacht. Noch stoßen wir dabei immer wieder an unsere Grenzen, da der nötige gesellschaftliche und politische Rahmen dafür fehlt. 

Es nützt uns wenig, wenn wir nicht mehr Auto fahren möchten, aber der ÖPNV so schlecht ausgebaut oder so teuer ist, dass er auch beim besten Willen keine Alternative darstellt. Es ist schädlich und unfair, wenn vegane Ernährung wesentlich teurer ist als das Billigfleisch aus der Massentierhaltung, wenn die Bahnreise ein Vielfaches der Flugreise kostet.

Und ja, es ist unfair und anstrengend, dass es diese Rahmenbedingungen noch nicht gibt und wir als Individuen sie deswegen bei den Verantwortlichen einfordern müssen, aber nur so ist Veränderung möglich. 

Wir müssen uns auch klarmachen:
Selbst bei konsequentester klimagerechter Lebensführung können wir unseren CO2-Fußabdruck nur auf etwa die Hälfte des deutschen Durchschnitts drücken.
Doch das reicht nicht! Der Rest ist systemisch bedingt und entzieht sich unserem direkten Einfluss. Daher könnten wir dem Klima nicht gerecht werden, wenn wir die Politik außen vorlassen würden! Der Druck auf die politischen Entscheidungsträger*innen muss aufrechterhalten werden, nicht zuletzt, um der fossilen Lobby etwas entgegenzusetzen.
Es ist Teil des klimagerechten Lebens, die politische Ebene ebenso zur Verantwortung zu rufen wie uns selbst.
Von politischer Seite muss klimagerechtes Leben gefördert werden, aber zum diesem Leben gehört auch, dies durch verschiedene Formen politischen Engagements einzufordern und mitzugestalten. Und deswegen: Das Eine tun und das Andere nicht lassen!

Und wir sind nicht machtlos! Wir leben in einer Demokratie, wir können (zum Glück) entscheiden, wer für uns entscheidet. Wir können klimagerechte Entscheidungen einfordern, das ist unser Recht und damit auch unsere Pflicht. Und unser Privileg!

Wir wissen ja: Unsre einzelne Konsumentscheidung ist noch nicht weltverändernd, die Summe aller Entscheidungen allerdings schon. Das Gleiche gilt für politisches Engagement. Der einzelne Wahlzettel bewirkt keine Politikveränderung, die Summe der Wähler*innenstimmen aber machen den Unterschied. Und jede*r Einzelne ist dazu aufgerufen, seinen*ihren Beitrag dazu zu leisten. Deswegen gehört der eigene politische Verantwortungsbereich genauso zur klimagerechten Lebensgestaltung wie die Konsumentscheidungen. 

Hätte ein junges Mädchen sich nicht jeden Freitag mit einem Schild auf die Straße gesetzt, „weil es ja eh nichts bringt“, hätten wir heute nicht die weltweite Protestbewegung von Fridays for future, die wiederum unsere Regierungen unter Druck setzen und zum Nachdenken bringen. Der Schneeballeffekt der eigenen Lebensgestaltung gilt also genauso für unser politisches Engagement. 

 

„…I want you to act!”

Greta Thunberg

Politisches Engagement kann ganz unterschiedliche und kreative Formen annehmen.
Es gibt vielfältige Möglichkeiten der politischen Partizipation und des Engagements. Dafür muss man keiner Partei beitreten oder sich von Autobahnbrücken abseilen.
Wie beim individuellen klimagerechten Leben gilt: Man kann mit dem beginnen, was einem liegt und sich Stück für Stück weiter herausfordern lassen. Nicht alles gleichzeitig, aber auch nicht nichts.
Den Klimaschutz in die eigene Wahlentscheidung mit einfließen zu lassen, ist schonmal ein Anfang.
Demonstrationen und Petitionen sind weitere Möglichkeiten der politischen Teilhabe.
Auf lokaler Ebene suchen Bürgerinitiativen und Klimaschutzvereine engagierte Mitarbeiter*innen (übrigens auch die Initiative Klimagerecht Leben.
Mit Briefen oder Mails können wir unsere Abgeordneten kontaktieren, herausfordern und unsere Anliegen immer wieder vorbringen. Berührungsängste oder übertriebener Amts-Respekt ist da ganz unangebracht: Politiker*innen sind auch nur Menschen! 

u. v. a. m. 

Und wenn man möchte, kann man doch einer Partei beitreten, oder sich von Autobahnbrücken abseilen 😊. 

Tabea Schünemann und Roland Vossebrecker

„In einer Welt, die nicht nachhaltig ist, ist es ein Privileg nachhaltig leben zu können. Der Zug ist oft viel teurer als der Flug, das Biolebensmittel teurer als das andere und so weiter. Wer die Möglichkeiten hat, sich nachhaltig zu verhalten, den würde ich immer dazu ermutigen. Nicht nur für die Welt, viel mehr für sich selbst. Die Art, wie wir unser Leben führen, kann dafür sorgen, dass wir besser mit dem Zustand der Welt klarkommen. Es reduziert die Dissonanzen im Leben und es kostet meiner Erfahrung nach weniger Kraft, sich nicht ewig gegen die eigenen Werte zu entscheiden. 

Aber die großen Hebel liegen nicht da, wo wir für uns allein entscheiden: Ich esse jetzt Tofu. Die großen Hebel liegen dort, wo wir uns organisieren, strategisch Druck ausüben und Wandel initiieren. Und da werden alle gebraucht, die mitmachen können.“

Luisa Neubauer

MUTET UNS WAS ZU!

MUTET UNS WAS ZU!

MUTET UNS WAS ZU!

von Roland Vossebrecker

(Samstag, 14. Januar 2023, um 5 Uhr morgens, ich notiere mir die Kern-Gedanken zu diesem Artikel.

Die Stimmung ist aufgeheizt, es brodelt in Deutschland, die Klimabewegung ist in Aufruhr, heute wird die große Demo in Lützerath stattfinden. Hoffentlich bleibt es friedlich…

Die Enttäuschung und der Zorn über den Verlust von Lützerath ist riesig und richtet sich besonders gegen die Grünen. Teile der Klimabewegung werfen der Grünen Partei wegen des Deals mit RWE Hochverrat vor.

Ich selbst bin Mitglied der Grünen, habe die Aufgabe von Lützerath deutlich kritisiert und gehöre zu über 2.600 grünen Mitgliedern, die den offenen Brief „Grüne Grundwerte nicht verraten: Lützerath muss bleiben“ unterzeichnet haben. 

Mona Neubaur und Robert Habeck aber persönlich Verrat vorzuwerfen, ist – mit Verlaub – Quatsch! Auch wenn ich ihre Position in dieser Frage an entscheidender Stelle nicht teile, so habe ich doch nicht den geringsten Zweifel, dass die beiden das aus ihrer Sicht Beste und Sinnvollste für den Klimaschutz herausholen wollten.

Der Vorwurf des Verrats emotionalisiert und schafft ein Feindbild, an dem man sich abarbeiten kann. Das schafft vielleicht ein Ventil für den eigenen Frust, ist aber nicht konstruktiv.

Denn das Problem liegt tiefer, – und es betrifft auch, aber nicht nur die Grünen.)

Mutet uns was zu!

Deutschland verfügt mit Robert Habeck (Minister für Wirtschaft und Klimaschutz), Annalena Baerbock (Außenministerin, mit der erklärten Absicht einer „Klima-Außenpolitik“), an ihrer Seite Jennifer Morgan (Staatssekretärin für internationale Klimapolitik), und Steffi Lemke (Umwelt-Ministerin) über ein ehrgeiziges und kompetentes Team für den Klimaschutz, dazu über einen Kanzler, der sich im Wahlkampf als künftiger „Klimakanzler“ ankündigte.

 

Wieso wird Deutschland dennoch regelmäßig bescheinigt, die eigenen Klimaziele zu verfehlen, geschweige denn, den historisch wirklich gerechten Anteil am Klimaschutz zu leisten?1

Annalena Baerbock:

„Wir stehen vor entscheidenden Jahren für den Klimaschutz und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Es ist Zeit zu handeln.

Es geht um eine grundsätzlich andere Form des Wirtschaftens – ein Wirtschaften, das die planetaren Grenzen anerkennt und ohne Kohle, Öl und Gas auskommt.

Dass eine radikale Klimapolitik das neue „Realistisch“ ist, sagen Grüne ja nicht erst seit gestern.“

Radikale Klimapolitik ist das neue „Realistisch“, – was für eine großartige Aussage. Die Realität deutscher Klimapolitik sieht leider aber immer noch anders aus:

„Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) hat die Räumung von Lützerath verteidigt:

Es gehe dabei um die Energieversorgungssicherheit, „wir müssen das schlimmste Szenario gut vorbereitet haben, sagte sie in der WDR-Sendung „Aktuelle Stunde“. Dazu gehöre auch die „Zuhilfenahme von sehr klimaschädlicher Braunkohleverstromung zu sichern„.“2

In die gleiche Richtung zielte die Aussage von Robert Habeck:

„Wir haben im letzten Jahr tatsächlich eine brandgefährliche, eine realistische Gefahr gehabt, dass Deutschland kalt bleibt.“3

 

Da möchte ich korrigieren: Wir haben eine realistische Gefahr, dass Deutschland (und der Rest der Welt) heiß wird!

Genau hier sehe ich den Fehler deutscher (und nicht nur Grüner) Klimapolitik: Unsere „Versorgungssicherheit“, unser Wohlstand, unser Wirtschaftswachstum wird immer wieder priorisiert – weil man uns „radikale“ Klimapolitik nicht zumuten möchte.

Die Furcht vor dem Zorn vermeintlicher Möchte-gern-Gelbwesten aus dem rechten Lager scheint größer zu sein als vor dem Zorn einer enttäuschten Klimabewegung.

 

Man wähnt die Demokratie in Gefahr durch die Proteste überforderter Wutbürger, verdrängt aber gleichzeitig die Gefahr für die Demokratie, die sich aus der Klimakatastrophe ergeben werden. Wie werden unsere Demokratien und unser Wirtschaftssystem 200 Millionen Klimaflüchtlinge (Schätzung der Weltbank für 2050) aushalten?

 

Vor allem aber: Die Furcht vor der Zumutung eines „Wohlstandsverlustes“ – den die Autorin Katja Diehl treffend auf den Punkt brachte: „Letztlich ist nicht unser Wohlstand, sondern vor allem unser Überkonsum bedroht.“ – diese Furcht ist größer als die Furcht vor den Verlusten, die uns und dem Rest der Welt durch die Klimakatastrophe drohen.

 

Der deutsche Wohlstandsverlust durch die aktuelle Inflation ist für die meisten hierzulande (nicht für alle!) ein Luxusproblem. Wie mögen die Menschen in der Ukraine oder gar in Somalia darüber denken?

 

Gleichzeitig fehlt der Politik insgesamt auch der Mut, den nötigen Wandel wirklich gerecht zu gestalten, also jene von gestiegenen Energie- und Lebensmittelkosten wirklich stark Betroffenen entschieden zu helfen. Stattdessen gab es mit dem Tankrabatt eine staatliche Subventionieren fossiler Energie, ein 49-€ statt eines 9-€-Tickets und eine Heizkosten-Abschlags-Übernahme für Alle, eben auch für jene, die diese Hilfe gar nicht brauchen (für mich z. B.). 

Wie könnte man also eine Akzeptanz für eine neue, realistische, radikale Klimapolitik erreichen?

Wie erreichen wir die nötige Mehrheit für die notwendige, radikale Klimapolitik? 

Dafür bedarf es einer mutigen politischen Kommunikation, die die Gefahren der Klimaentwicklung, aber auch die Chancen eines Systemwandels klar benennt.

 

Unsere Aufgabe als Klimabewegung muss aber auch sein, einen gesellschaftlichen Wandel anzuregen und mitzutragen, und der Politik zu signalisieren:

Mutet uns was zu, mutet uns endlich was zu!

 

Denn wir wissen, dass die Rettung nicht umsonst zu haben ist, und wir wissen:

Klimaschutz ist teuer, die Klimakatastrophe aber wird viel teurer werden, und sie wird nicht nur in € und $ bezahlt, sondern mit Menschenleben!

Es gibt viel zu verlieren, – es gibt aber auch viel zu gewinnen. 

(Sonntag, 15. Januar.

Die Demo ist vorbei, unglaublich viele Menschen haben trotz widrigstem Wetter friedlich demonstriert. Leider gibt es auch erschreckende Bilder von Gewaltanwendung und heftige Vorwürfe beider Seiten, sowohl von der Polizei wie auch von den Aktivisten. 

Von jeder Gewaltanwendung distanzieren wir uns hiermit ausdrücklich!

Von den gewalttätigen Szenen haben wir vor Ort nichts mitbekommen. Wo wir uns aufgehalten hatten, war die Stimmung friedlich und entspannt, wenn auch entschlossen. 

Die Gräben zwischen Klimabewegung und den Grünen sind – das konnte man spüren – sehr tief, und beide Seiten sollten nun daran arbeiten, diese wieder zu überwinden und zur Zusammenarbeit zurückzufinden. Für die Bewegung gibt es aktuell im politischen Spektrum keine wirkliche Alternative, und die Grünen können es sich nicht leisten, den Rückhalt der Klimabewegung zu verlieren.

Vom Dorf Lützerath existiert nun nicht mehr viel, vom Geist und der Energie Lützeraths aber noch eine ganze Menge. Etwa 35.000 Menschen waren da mit der deutlichen Botschaft: 

RWE, lass die verdammte Kohle im Boden!)

Roland Vossebrecker

1  Deutschland wird, Stand heute, das eigene Klimaziel für 2030 verfehlen und hat praktisch keine Chance mehr, seinen gerechten Teil beizutragen, um das globale 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.

Deutschland gehört, ob man das wahrhaben will oder nicht, zu den Ländern, die weiterhin an einer Schnellstraße in die Klimahölle bauen – oder besser gesagt betonieren.“

https://www.klimareporter.de/klimakonferenzen/an-der-schnellstrasse-zur-hoelle-wird-weiter-betoniert 

2 https://www.sueddeutsche.de/politik/demonstrationen-duesseldorf-nrw-wirtschaftsministerin-verteidigt-raeumung-von-luetzerath-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230114-99-215857

3https://www.zdf.de/nachrichten/politik/habeck-interview-luetzerath-energieversorgung-100.html