TUT EUCH ZUSAMMEN

TUT EUCH ZUSAMMEN

Tut euch zusammen!

von Tabea Schünemann

Ich sitze mit meinen Mitbewohnerinnen in der Küche und wir reden übers Klima.

Wie wir dahingekommen sind? Meine Mitbewohnerin erzählte von ihrer Unsicherheit beim Thema Kinderkriegen und der Sorge, wie es ihrem Kind dann wohl mal gehen würde. Kann man in so eine Welt Kinder setzen? Eine Frage, die viele, die wie ich in ihren Zwanzigern sind, beschäftigt.

Mein Thema hier ist weniger diese Frage, sondern mehr der Punkt, dass es so guttat, darüber zu sprechen. Über die Sorgen, die Ängste, den Frust. Klimagefühle eben. Eine Rückmeldung, die wir auch oft nach den Klimatalks bekommen. 

Deswegen ist meine Botschaft hier ganz einfach:

 

DU BIST NICHT ALLEIN!

 

Wenn wir einsam zuhause sitzen und uns selbst dafür hassen, dass wir schon wieder Käse gegessen haben, obwohl doch veganurary ist, lachen sich die fossilen Lobbyisten ins Fäustchen. Das ist genau das, was sie brauchen: Menschen, die denken, sie können eh nichts bewirken und deswegen nichts tun. Menschen, die nicht wissen, dass es da draußen Menschen gibt, denen es genauso wichtig ist und mit denen sie sich zusammenschließen könnten. Und sollten. Weil es unsere Demokratie und unser Leben ist! 

 

Ich glaube einfach, Vereinsamung ist nicht zu unterschätzen. Genauso wenig aber Gemeinschaft, oder besser Gemeinsamung. 

Und ja, der Widerstand ist riesig, die Gegenstimmen plärren laut durch social media und sämtliche Talkshows. Aber so viele Menschen finden dieses Geplärre genauso anstrengend und giftig wie du. Tut euch zusammen und setzt dem was entgegen! 

Nichts ist schöner als gegenseitige Inspiration und Selbstwirksamkeit. Das sind die Erfahrungen, die wir brauchen, in Zeiten sozialer Kälte und Erderhitzung. 

 

 

P.S.: Wir als Initiative sind immer ansprechbar und über verschiedenste Kanäle erreichbar. 

 

P.P.S.: Du willst bei dir vor Ort einen Klimatalk starten? Schritt eins: Lade zwei, drei Freund*innen zu dir nachhause ein und überlegt euch, wie das bei euch aussehen könnte. Denk dran: Alles beginnt mit einer Person, die sagt: „Ich hab da ne Idee!“ und einer Person, die sagt: „Du spinnst, ich mach mit.“ 

 

Tabea Schünemann

 

 

GRÜNE KLIMAKOMMUNIKATION

GRÜNE KLIMAKOMMUNIKATION

Grüne Klima-Kommunikation

von Roland Vossebrecker

Das Thema Klima (-Krise, -Katastrophe, -Gerechtigkeit) kann und darf nicht ausschließlich ein Grünes Thema sein. Der Erhalt unserer aller Lebensgrundlagen muss ein Anliegen aller demokratischen Parteien sein.

Dennoch darf man von den Grünen allein schon deswegen am meisten erwarten, weil sie sich selbst als Klimaschutz-Partei versteht. Trotzdem, so meine ich, liegt auch in Grüner Klimakommunikation noch manches im Argen. Meine jahrelange Unzufriedenheit damit findet in diesem Artikel ihren Niederschlag:

„Dass eine radikale Klimapolitik das neue „Realistisch“ ist, sagen Grüne ja nicht erst seit gestern.“

Annalena Baerbock

Schön wär’s… 

Am Anfang und über allem steht die Frage, wie wir die Klimakrise verstehen. Ist sie eines von vielen zu lösenden Problemen, neben der Gesundheitspolitik, der Sozialpolitik, der Entwicklung von Gleichberechtigung, der Genderfrage usw. – alles wichtige Themen, zweifellos!

Oder ist sie eine existenzielle Krise, die buchstäblich alle anderen Fragen und Themen in den Hintergrund drängt, da es um das Überleben von Milliarden Menschen und den Fortbestand der Demokratie und der menschlichen Zivilisation geht – und deswegen bei allen politischen Fragen mitgedacht werden muss.

Wenn man sich nur ein wenig mit den Berichten des IPCC und vieler anderer wissenschaftlicher Veröffentlichungen befasst hat, dann weiß man, das Zweiteres der Fall ist. Das Budget für die Einhaltung der 1,5°-Gradgrenze ist in knapp drei Jahren aufgebraucht, Katastrophen häufen sich, werden immer weniger versicherbar, wir steuern auf gefährliche Kipppunkte zu oder haben sie bereits überschritten, – und die Emissionen steigen weiter.

Um dem zu begegnen, so finde ich, müssen wir uns von einem gefährlichen Märchen verabschieden, nämlich, dass es so weiter gehen könne wie bisher, nur mit etwas anderen Mitteln. Das ist, was aktuelle Politik (und nicht nur Grüne natürlich) allenthalben suggeriert: Wir rüsten auf E-Mobilität um und kaufen Bio-Shampoo, installieren eine Solaranlage, essen etwas weniger Fleisch, gestalten unsere Kreuzfahrt „nachhaltig“, retten damit das Klima und die Umwelt und die Weltmeere und müssen unseren Lebensstil und unser Konsummodell nicht hinterfragen.

Der Elefant im Raum lautet also:

Wann machen wir uns endlich ehrlich und sagen laut und deutlich, dass es auf unserem derzeitigen (westlichen) Luxus- und Konsum-Niveau nicht gehen kann?

Einmal im Jahr erinnert uns der Earth Overshoot Day an diese Tatsache: Für Deutschland liegt er in den ersten Mai-Tagen, das heißt, deutscher Durchschnitts-Lebensstil verbraucht drei Erden. Das wissen wir alle, wir sind einmal im Jahr dann ganz betreten – und machen weiter wie bisher! So lässt sich eine Klimakatastrophe und ein massives Artensterben, das unsere Existenz genauso bedroht, nicht verhindern.

Ich habe diese Frage in den letzten vielen Jahren immer wieder gestellt und regelmäßig hat man sich (leider auch bei den Grünen) vor einer Antwort systematisch gedrückt!

In privaten Gesprächen im grünen Umfeld hat mir allerdings bislang noch niemand widersprochen! In der Sache war jeder und jedem meiner Gesprächspartner*innen klar, dass es so in Anbetracht multipler Umweltkrisen natürlich nicht gehen kann. Und mit einer Perspektive auf globale Gerechtigkeit schon gar nicht!

Der einzige Einwand – dieser allerdings beinahe immer, lautete: Wenn wir das sagen, dann wählt uns niemand mehr. Verzicht käme eben nicht gut an.

Anders ausgedrückt: Die Wahrheit können wir den Wähler*innen nicht zumuten.

Dann wird an das Veggiday- und das Verbotsparteitrauma erinnert. Darauf möchte ich gleich noch eingehen.

Also stellt sich mir die Frage, wie grüne Klimakommunikation aussehen kann, aussehen muss.

Zunächst einmal: Ich halte die Angst vor Wahlstimmenverlust für grundsätzlich falsch. Ich möchte hier meiner Überzeugung Ausdruck geben, dass die Wahrheit, gut kommuniziert, immer eine Chance hat. Würde ich etwas anderes glauben, dann hätte ich längst aufgegeben!

Als Grüne sollten man sich Sorgen machen, eben jene Wähler*innen zu verlieren, die verstanden haben, worum es geht, und nicht jene, die weiterhin mit Zähnen und Klauen nur ihre Privilegien verteidigen wollen.

In vielen Gesprächen mit Aktivist*innen der Klimabewegungen, bei Demos, Camps, auf Diskussionsveranstaltungen, während verschiedener Bildungsreisen etc. habe ich immer wieder erfahren, wie groß die Enttäuschung, der Frust, die Bitternis ist über grüne Klimapolitik und Kommunikation, besonders über faule Kompromisse, die als Erfolg verkauft werden.

 

Meine wichtigste Forderung an eine Grüne Klimakommunikation lautet also:

Sagt die Wahrheit!

So schlicht wie treffend, Dank an Extinction Rebellion! 

Zur Wahrheit gehören zwei Erkenntnisse:

  1. Die Bedrohung ist groß, und sie betrifft alle!

Die sich anbahnende Klimakatastrophe bedroht die Gesundheit, die Freiheit, das Leben und Überleben aller Menschen. Die Kosten, sie zu verhindern oder wenigstens, sie zu lindern sind weitaus geringer als die Kosten, die die Klimakatastrophe verursachen wird. Und diese werden nicht nur in € und $ bezahlt, sondern mit Menschenleben!

Anders ausgedrückt: Nicht der Verlust deiner Pendlerpauschale, sondern die Klimakatastrophe bedroht deinen Wohlstand, deine Gesundheit, dein Leben.

Dazu wird gelegentlich angemerkt, dass Warnungen und Alarmrufe nichts (mehr) brächten. Schließlich würde die Wissenschaft schon seit Jahrzehnten warnen und ein breites Umdenken in der Bevölkerung fände trotzdem nicht statt. Das ist teilweise richtig. Der notwendige gesellschaftliche Bewusstseinswandel ist noch in weiter Ferne. Allerdings gibt es mittlerweile eine globale Klimabewegung, die die Wissenschaft allerdings sehr ernst nimmt. Trotzdem bleibt die bittere Wahrheit, dass die Warnungen in der Breite der Bevölkerung immer noch nicht ankommen.

Aber: Warum sollte man (wenn man sich nicht aus freien Stücken intensiv mit der Klima-Thematik beschäftigt), die ständigen Warnungen überhaupt ernst nehmen, wenn sie buchstäblich jedes Mal ohne erkennbare Reaktion der Politik bleiben?

2019 warnten etwa 11.000 Wissenschaftler*innen vor „unsäglichem menschlichen Leid“, wenn der Klimakatastrophe nicht entschlossen entgegengehandelt würde. Zwei Jahre später wurde der Appell mit 14.000 Wissenschaftler*innen erneuert. Kann man noch eindringlicher, noch drastischer formulieren?

Ein Notstand, ein Krisengipfel, eine Reaktion aus der Politik bleib aus. Ich habe nicht einen Kommentar dazu von prominenter politischer Stimme vernommen, auch von den Grünen nicht!

Dasselbe gilt auch für die verschiedenen Sachstandsberichte des IPCC, die einer nach dem anderen immer dramatischer ausfallen. Auch da gab es – dröhnendes Schweigen.

Hier mal eine kurze und recht willkürliche Aufzählung von Klima-Meldungen vom Oktober 2023:

Am 24.10.2023 veröffentlichen renommierte Ökologen, Klimafolgenforscher und Datenanalysten in der Zeitschrift „BioScience“ der Universität Oxford einen Aufruf, in dem es heißt: „Wir betreten klimatisches Neuland“ und sprechen von der Gefährdung der Lebensgrundlage aller Lebewesen und des Menschen selbst. Die Veränderungen seien derart extrem, dass sie Neuland darstellten und noch nie in einer solchen Form in der Menschheitsgeschichte aufgetreten seien.

Am selben Tag veröffentlicht die Plattform Klimareporter eine Studie, die belegt, dass der westantarktische Eisschild selbst bei optimistischster Klimaentwicklung nicht mehr zu retten sei. Auf lange Sicht bedeutet das Abschmelzen einen Meeresspiegelanstieg von etwa 5 Metern!

Am 25. benennt eine Forscher*innengruppe der UN-Uni Bonn sechs Kipppunkte, denen sich die Menschheit gefährlich nähert und die für sie zur Katastrophe werden könnten. Vier davon stehen in unmittelbarem Zusammenhang zur Klimaentwicklung, ein weiterer, das Artensterben, muss als Zwillingskrise verstanden werden.

Am 26. veröffentlichen mehr als 200 Fachjournale gleichzeitig die Forderung an die WHO, wegen der Klimakrise den globalen Gesundheitsnotstand auszurufen. 

Am selben Tag erreichen Meldungen der Rekorddürre im Amazonasgebiet die Nachrichten. Sonst gigantische Flüsse trocknen aus. Die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen und Tieren gehen verloren.

Zu keiner dieser Schreckensmeldungen habe ich auch nur eine einzige Reaktion aus der Politik gehört! Kein Innehalten, keine Reflektion, keine Demut, kein Nachdenken, keine Selbstkritik und schon gar keinen Kurswechsel. Auch nicht der Grünen! Ich finde das beschämend! 

Warum sollten also Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher diese Warnungen ernst nehmen, wenn die Politik sich dazu ausschweigt? Es liegt doch auf der Hand, dass man sich dann denkt, naja, so schlimm wird’s wohl doch nicht kommen. Ein Notfallplan (wie z. B. zu Coronazeiten) würden ganz anders aufgenommen werden.

Also noch einmal: „Das können wir unseren Wähler*innen nicht zumuten“ = „Die Wahrheit können wir den Leuten nicht zumuten, das ist passiver Populismus!

 

Die zweite Erkenntnis lautet:

  1. Wir sind verantwortlich.
    • für die globale Ungerechtigkeit
    • für die Folgen unseres Lebensstils

Das ist als bittere Wahrheit allerdings anspruchsvoll zu vermitteln. Und dennoch unbedingt notwendig. Das Eingeständnis, dass unser Wohlstand und Reichtum auf der Verbrennung von Kohlenstoff basiert, und dass wir als reiche Industrienation(en) die entscheidenden Mittel und Hebel in der Hand haben, das Notwendige und Gerechte zu tun, muss die Basis ehrlicher Kommunikation sein. 

Wie anders sollte sonst eine Verständigung mit MAPA1-Politiker*innen und Aktivist*innen funktionieren?

1Most Affected People and Areas

Zu dieser Ehrlichkeit gehört auch das klare Benennen globaler Ungerechtigkeiten, und damit verbunden das Hinterfragen unserer Privilegien, die bis heute auf Ausbeutung von Menschen, Ressourcen und Natur basieren, auf postkolonialen bis rassistischen Strukturen. Anders kann man z. B. das Fast-Fashion-System, angefangen von den Sklaverei-artigen Produktionsbedingungen in Südost-Asien bis zu den Müllhalden in der chilenischen Atacamawüste oder in Accra/Ghana nicht lesen.

Dasselbe gilt auch für die CO2-Emissionen, die für unseren Konsum entstehen, aber vielfach den produzierenden Ländern des globalen Südens angerechnet werden, und die die dramatischsten Folgen zu tragen haben.

Und damit geraten wir schnell in eine Verzichtsdebatte. Das gängige Argument lautet dann in etwa: Mit dem Narrativ „Wir müssen unseren Konsum und unseren Lebensstandard drastisch reduzieren“ entfache man halt keine Begeisterung, im Gegenteil.

Ich bin allerdings der Meinung, dass man mit etwas argumentativem Geschick durchaus überzeugend über Verzicht reden kann. So kann, so muss man darauf hinweisen, worauf wir heute bereits alles verzichten. Es ist gleichermaßen notwendig wie effektiv, die üblichen Gegenargumente offensiv aufzugreifen und umzudeuten, statt sich verschämt wegzudrücken, wie es damals beim Misserfolg des Veggie-Days passierte! Heute wäre der wahrscheinlich ziemlich erfolgreich. Manchmal braucht man eben auch etwas Durchhaltevermögen.

Den Grünen haftet beharrlich das Image einer Verbotspartei an, – und sie haben eine beschämend irrationale Angst davor. Warum eigentlich? Warum nicht so:

Verbotspartei? Ja klar! Wir möchten alles verbieten, was die Gesundheit, die Freiheit und das Leben von uns und anderer Menschen bedroht. 

Mord und Totschlag sind verboten, Raub und Vergewaltigung sind verboten, falsch Parken ist verboten. Warum nicht grob klimaschädigendes Verhalten?

Und wir sind die Erlaubnispartei: Wir erlauben künftigen Generation ein sicheres Weiterleben. Wir erlauben den Menschen im globalen Süden, ohne Ausbeutung zu leben. Wir erlauben uns ein gesundes und sicheres Leben mit weniger Lärm, Luftverschmutzung, mit grünen Innenstädten, mit Raum zur Begegnung usw. usf.

Und damit sind wir beim dritten Punkt gelingender grüner Klima-Kommunikation: 

  1. Die positive Vision

Können die Grünen denn wirklich nichts Besseres anbieten? Nicht mehr als nur eine Krisenverwaltung? Wirklich nicht mehr als ein weiter-so mit etwas anderen Mitteln?

Im Europa-Wahlprogramm der Grünen ist sieben Mal von Grünem Wohlstand die Rede, von „Wohlstand bewahren“, von „klimaneutralem Wohlstand“, ohne dass definiert wird, was das eigentlich sein soll. Meine Frage diesbezüglich blieb –wieder einmal – unbeantwortet!

Und auch ein Grünes Wachstum wird propagiert, aber:  Was soll eigentlich wachsen? Und was muss schrumpfen? Verkehr, Fleischkonsum, Ressourcenverbrauch, unser sonstiger Konsum, die CO2-Emissionen, die Ungleichheit, etc.

Und eine ganz wichtige Frage wird nie gestellt: Wann ist es eigentlich genug?

Auf der Basis grüner Werte und Prinzipien der Gerechtigkeit, der Menschenrechte sollten eine grüne Klima-Kommunikation und -Politik ein attraktives und gleichermaßen verantwortungsvolles Angebot machen, eine positive Vision.

Wir brauchen einen neuen nachhaltigen, zukunftsfähigen, global gerechten Gesellschaftsvertrag, – lebenswert für Alle.

Zu guter Letzt: Die Politik hinkt dem gesellschaftlichen Wandel immer hinterher, leider. Aber welche Kraft könnte es entfalten, würden sich die Grünen an die Spitze einer global-solidarischen Gerechtigkeitsbewegung setzen? Einer Bewegung, die heute so dringend gestärkt werden muss angesichts des weltweiten Erstarkens eines ungezügelten Nationalegoismus.

So könnte Grüne Politik selbst in der Opposition größte Wirkung entfalten.

„Wir müssen überlegen, welche Gesellschaft wir sein könnten. Von einer Zukunft erzählen, die so lebenswert und schön ist, dass andere auch dorthin wollen, und den Wunsch auslöst, diese Welt mitzugestalten. Erst dann wird aus scheinbarem Verzicht Gewinn.“

Carola Rackete

 

Roland Vossebrecker

 

 

#Wirfahrenzusammen- ein Bündnis für eine sozial- gerechte Verkehrswende

#Wirfahrenzusammen- ein Bündnis für eine sozial- gerechte Verkehrswende

#Wirfahrenzusammen – ein Bündnis für eine sozial- gerechte Verkehrswende

von Simon Käsbach

Viele von uns sind sicherlich auf den ÖPNV angewiesen oder nutzen ihn oft bzw. würden ihn gerne öfter nutzen. Und viele Menschen fordern die Verkehrswende, die es so dringend braucht, um etwas gegen die Klimakrise zu tun. 

Doch aktuell sieht es eher nicht nach einem guten Nahverkehr aus. Oft erleben wir überfüllte oder verspätete Busse und Bahnen oder sie fallen ganz aus. Es werden Fahrpläne geändert oder Linien sogar gestrichen. In ländlichen Regionen ist der ÖPNV oft nur miserabel ausgebaut, so dass er keine attraktive Alternative zum eigenen Auto darstellt.

Erlebst Du das auch? 

Sehr oft liegt das daran, dass durch schlechte Arbeitsbedingungen ein extremer Personalmangel entstanden ist. Allein bis 2030 müssen 100.000 neue Stellen besetzt werden, um das Ziel zu verwirklichen, den ÖPNV bis 2030 zu verdoppeln. Doch aktuell wird in diesem Sektor einfach gespart, obwohl so viele Menschen täglich darauf angewiesen sind. Das kann so nicht weiter gehen!

Deshalb gibt es seit einigen Monaten das Bündnis #Wirfahrenzusammen. Gestartet wurde es von Verdi und Fridays for future. 

Warum gerade jetzt? 

Im Frühjahr haben die Beschäftigten im Nahverkehr ihre Tarifverhandlungen, die Arbeitsbedingungen werden also neu ausgehandelt. Genau deshalb ist jetzt die Chance, die Situation entscheidend zu verbessern und die Verkehrswende deutlich voranzutreiben.

Unsere gemeinsamen Forderungen sind: 

  • Gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im ÖPNV um den Personalnotstand zu bewältigen und die Berufe im ÖPNV attraktiv zu machen 
  • Massive Investitionen von mindestens 16 Milliarden Euro pro Jahr, um die Kapazitäten im Nahverkehr bis 2030 zu verdoppeln 

Um das erreichen zu können, bauen wir jetzt gerade eine breite Bewegung aus Beschäftigten und Teilen der Gesellschaft auf, um im Frühjahr gemeinsam diese Forderungen zu verwirklichen. 

Wir wollen mithilfe einer Mehrheitspetition möglichst viele Gespräche mit Menschen der Zivilgesellschaft führen, um Solidarität und Unterstützung zu gewinnen. Diese Petition übergeben wir dann Ende Januar an die Politik. Aber das wird vermutlich nicht reichen, denn es ist leider eher unwahrscheinlich, dass die Politik allein wegen zehntausenden Unterschriften handelt. Schön wäre es ja…

Deshalb wollen wir mit den Gesprächen auch eine Streikbereitschaft erzeugen, sodass wir, wenn es zu Streiks kommen sollte, gemeinsam mit den Beschäftigten auf der Straße stehen, um ein Handeln zu erzwingen, – für massive Investitionen in den ÖPNV und somit für mehr soziale Gerechtigkeit. 

Ich habe das Gefühl, dass wir so gewinnen können!

Es gibt schon in etwa 60 Städten Ortgruppen, die zusammen diese Bewegung aufbauen und coole Aktionen machen. So auch zum Beispiel in Heidelberg und Bergisch Gladbach. Auch Aktivist*innen von der Initiative KlimaGerecht Leben sind tatkräftig mit dabei!

Wenn Du Lust hast mitzumachen, dann geh entweder auf die Website: 

https://www.wir-fahren-zusammen.de/ 

Oder wenn Du in Bergisch Gladbach wohnst, melde Dich gerne direkt bei uns: 

wirfahrenzusammen-bgl@systemli.org 

Wir planen in Bergisch Gladbach gerade auch eine

große, offene Vollversammlung am 19.01 um 18 Uhr. in der VHS in Bergisch Gladbach, Buchmühlenstraße 12.

Wenn du also neugierig bist und wissen willst, warum es gerade jetzt so wichtig ist und wie du aktiv werden kannst, komm vorbei!

Damit können wir zusammen den ÖPNV für alle verbessern! 

Simon Käsbach

COP 28

COP 28

Statement zur COP 28

Roland Vossebrecker

 Die COP28, die 28. Weltklimakonferenz ist am 13. Dezember 2023 zu Ende gegangen. Nach nur einem Tag der Verlängerung wurde einem Abschlusstext zugestimmt, in dem zu einem „Übergang weg von fossilen Brennstoffen“ aufgerufen wird.

Bereits am ersten Tag der Verhandlungen wurde ein Loss-and-Damage-Fund angekündigt, zu dem Deutschland und das Gastgeberland, die VAE jeweils 100 Millionen $ zusagten.

Die Kapazitäten für Erneuerbare Energien sollen bis 2030 verdreifacht werden, und es sollen verstärkte Anstrengungen zur Reduzierung des Kohleverbrauchs gemacht werden.

Alles in allem ein großer Erfolg also?
Eine Frage der Perspektive:

Die COP28 war im Grunde eine bizarre Veranstaltung. Ca. 90.000 (!) Menschen sind nach Dubai gereist (fast alle sind geflogen – wie auch sonst?) um im luxuriösen Ambiente der Öl-Metropole zwei Wochen die Geschicke der Welt zu verhandeln.

Der Präsident der diesjährigen Klimakonferenz war Sultan Ahmed Al Jaber, gleichzeitig CEO des staatlichen Ölkonzerns ADNOC, der plant, die Ölförderung bis 2030 um mehr als 40 Prozent zu steigern. Al Jaber scheute sich auch nicht, die wissenschaftlich anerkannte Notwendigkeit eines kompletten Ausstiegs aus den fossilen Energieträgern anzuzweifeln, und gleichzeitig verschwörungstheoretisch und sexistisch zu argumentieren: “Sie lesen Ihre eigenen Medien, die voreingenommen und falsch sind. Ich sage Ihnen, dass ich der Mann in der verantwortlichen Rolle bin, und das ist falsch, Ma’am. Sie müssen mir zuhören.“

Haarsträubend war auch die Tatsache, dass sich mindestens 2.456 offiziell akkreditierte Lobbyisten für Kohle, Öl und Gas auf der COP tummelten – vier Mal mehr als auf dem Treffen in Ägypten im vergangenen Jahr.

Damit hatten mehr Lobbyisten Zugangspässe erhalten als alle Delegationen der zehn durch die Erderwärmung verwundbarsten Staaten, die ihrerseits alle aus dem Globalen Süden kommen und sich die teure Reise und den Aufenthalt in Dubai vielfach nicht leisten konnten. Klimagerechtigkeit geht anders!

Entsprechend groß war der Widerstand gegen ein Fossil Fuel phase-out, eine vollständige Abkehr von den fossilen Energien, die zeitweise in greifbarer Nähe zu sein schien. Der Generalsekretär der OPEC, Haitham al-Ghais sah sich dann genötigt, einen Brief an die 13 Mitgliedsstaaten des Öl-Kartells zu schreiben, um eben jenen Ausstieg mit aller Macht zu verhindern. Als daraufhin die Empörung hochkochte warf die OPEC den ambitionierteren Ländern vor, dass ein Ausstieg rassistisch sei! No comment.

Positiv betrachtet: Die OPEC wird nervös, weil sich am Horizont ein Ende von Öl und Gas abzuzeichnen beginnt. 

Die Abschlusserklärung empfiehlt also einen „Übergang“ weg von fossilen Brennstoffen und sieht einen „gerechten, geordneten und ausgewogenen Übergang weg von fossilen Brennstoffen in den Energiesystemen“ vor. 

Diese windelweiche Formulierung ist ein fragwürdiger Kompromiss und eröffnet allerlei Schlupflöcher: Erdgas wird als Brückentechnologie akzeptiert – ach ja, auch Olaf Scholz will ja noch Erdgas im Senegal kaufen und die Bundesregierung fördert weiter LNG auf Rügen! –  und konkrete Zeitpläne für den Ausstieg aus den Fossilen gibt es nicht.

„In den Energiesystemen“ ist wohl eines der Schlupflöcher, die sich die Erdöl-Staaten leisten: Plastik wird aus Erdöl gewonnen!

Einige feiern, dass zum ersten Mal Öl und Gas überhaupt in einem COP-Abschlussdokument genannt werden. Aber ist es wirklich als Erfolg zu werten, dass man sagenhafte 28 Weltklimakonferenzen benötigte, um ganz vorsichtig mal das Selbstverständliche und dringend Notwendige überhaupt erst einmal anzusprechen?

Und dass die COP29 im nächsten Jahr in Aserbaidschan stattfinden wird, einer weiteren Öl-Nation und die dritte in Folge (nach Ägypten und den VAE), ist daher kein gutes Signal.

Positiv zu bewerten sind die Ambitionen, die Kapazitäten der erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdreifachen, und die Energieeffizienz zu verdoppeln. Der Markt soll es regeln, verbindliche Regeln und Verbote wurden vermieden.

„Solange die verhandelnden Staaten ihre Fragen innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems stellen, werden es die falschen Fragen sein. Denn es sind Fragen innerhalb des Systems, das die gigantischen Probleme, vor denen wir heute stehen, erst geschaffen hat.“

Carola Rackete, 2019

Und dann lohnt sich noch einmal ein genauerer Blick auf den umjubelten Loss-and-Damage-Fund, und auf die von Deutschland (und anderen Ländern) zugesagten 100 Millionen $ (ca. 92 Millionen €):

Es ist ein Start, immerhin. Ein paar Zahlen aber zum Vergleich dazu:

  • Der Viertligaverein Fortuna Köln erhält einen neuen Sportpark. Veranschlagte Kosten: 100 Millionen €.
  • Die Baukosten für die Sanierung der Kölner Oper liegen derzeit bei 682 Millionen €, wenn man die Kosten für die Kredite und Ersatzspielstätten mitrechnet, dann kostet das Projekt bereits über eine Milliarde €.
  • Der Erweiterungsbau für das Kanzleramt in Berlin soll 777 Millionen € kosten.
  • Für die Beseitigung der Schäden nach der Ahrtalkatastrophe wurden 30 Milliarden € zur Verfügung gestellt.
  • Verkehrsminister Wissing will in den nächsten Jahren mindestens 30 Milliarden € für den Ausbau und die Verbreiterung von Autobahnen ausgeben…
  • Oxfam schätzt die jährlichen Klimaschäden in ärmeren Ländern 2023 auf 290 bis 580 Milliarden $.
  • Die weltweiten Subventionen für fossile Energien werden auf 1,4 Billionen (!) $ geschätzt!

Es ist eben doch alles sehr relativ…

Einen sehr bitteren Beigeschmack erhält die Abschluss-Erklärung noch dadurch, dass sich die Gruppe der vom Meeresspiegelanstieg bedrohten Inselstaaten übergangen fühlte. Da man sich untereinander noch koordinieren musste, war man nicht mehr rechtzeitig im Raum, als Al Jaber buchstäblich und eilig den Hammer fallen ließ. Die Vertreterin Samoas sagte: „Wir können nicht auf unsere Inseln zurückkehren mit der Botschaft, dass dieser Prozess uns betrogen hat. Die Kurskorrektur, die wir brauchten, ist nicht erreicht worden.“ Einige Delegationsteilnehmer*innen waren den Tränen nahe. Verständlich, denn für sie geht es bei diesen Entscheidungen ums blanke Überleben!

Ein überraschender und erfreulicher Lichtblick war indes, dass sich ein Land, das stark von fossilen Rohstoffen abhängig ist, der Initiative für ein “Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty” angeschlossen hat: Kolumbien hat sich gegen Profit und für Zukunft entschieden. Bravo!

War die COP28 also ein historischer Erfolg, wie Präsident Al Jaber es wenig bescheiden verkündete?
Am Ende wissen wir es nicht. Ein Abschlusstext, der hauptsächlich aus Absichtserklärungen besteht, muss an der Umsetzung gemessen werden: Auf die Worte müssen nun Taten folgen, und das schnell. 

Im Falle Deutschlands bedeutet das: Kein Gas aus dem Senegal, ein Stopp des LNG-Ausbaus auf Rügen, beschleunigter Kohleausstieg, konsequenter Abbau aller fossiler Subventionen, ein angemessener und fairer Beitrag für den Loss and Damage Fund, eine sozial gerechte Klimapolitik (Klimageld!), eine ambitionierte Verkehrswende (nicht nur Antriebswende!), Agrar- und Ernährungswende, Tempolimit… … …

Was nicht auf der COP verhandelt wurde, und was auch nicht zu erwarten war, ist die Frage, ob das Klima überhaupt in einem Überkonsum-System zu retten ist, die Frage also nach dem so dringend benötigten gesellschaftlichen Wandel. So bedauerlich es auch ist: Die Politik wird diesen Wandel nicht bewirken, geschweige denn, ihn voran treiben. Das ist die Aufgabe einer solidarischen und weltoffenen Zivilgesellschaft. Das ist die Aufgabe der Klimagerechtigkeitsbewegung. Das ist unser aller Aufgabe.

Dafür stehen wir!

 

*****   *****   *****

 

Interessant sind die unterschiedlichen Bewertungen des Ergebnisses seitens der Politik und der klimawissenschaftlichen und klimaaktivistischen Communities. Hier beispielhaft einige Stimmen:

„Große Freude in der deutschen Delegation und bei der Außenministerin, dass die Welt das Ende des fossilen Zeitalters beschlossen hat.“

„Dieser Text ist für uns als Europäische Union, als Deutschland nur ein Anfang (…) Wir haben entschieden, dass wir die Zukunft unserer Kinder nur zusammen retten können.“

Annalena Baerbock, Außenministerin

Man kann sie vielleicht historisch nennen, weil zum ersten Mal wirklich drinsteht, dass eine Abkehr von fossilen Brennstoffen notwendig ist – dass wir bis 2050 bei netto null Emissionen sein müssen. Die Sprache ist natürlich relativ weich und unverbindlich, weil es eben das Konsensverfahren dieser UN-Klimagipfel ist, dass auch der letzte Ölstaat zustimmen muss. Und dafür, dass das der Fall ist, ist das gar nicht schlecht, was da drinsteht.

Stefan Rahmstorf, Klimaforscher am PIK

„Nein, der COP28-Abschluss wird die Welt nicht in die Lage versetzen, die 1,5°C-Grenze einzuhalten, aber ja, das Ergebnis ist ein entscheidender Meilenstein. Die Aussage zur Abkehr von fossilen Brennstoffen bleibt jedoch zu vage und es gibt keine harten und nachvollziehbaren Grenzen für 2030, 2040 und 2050. Es wird nicht anerkannt, dass die Skalierung von Technologien zur Kohlendioxidabscheidung zusätzlich zum Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe erfolgen muss, um die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Und es gibt keinen überzeugenden Plan, wie der Übergang weg von fossilen Brennstoffen erfolgen soll. Wir wissen, dass dies nicht allein durch nationale freiwillige Maßnahmen geschehen wird. Es sind auch kollektive, globale Vereinbarungen über die Finanzierung, die Bepreisung von Kohlenstoff und den Technologieaustausch erforderlich, und zwar in einem Umfang, der weit über das hinausgeht, was derzeit auf dem Tisch liegt.“

Johan Rockström,

Ko-Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung

„Für den Klimanotstand nicht ausreichend. „Abkehr von fossilen Brennstoffen“ ist nicht die notwendige Notbremse. Langfristig große Schlupflöcher für fossile Brennstoffe. Kein klares Signal für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Nicht historisch, nur das Nötigste.“

Prof. Niklas Höhne, NewClimate Institute

„Abschlussdokument derCOP: Ein seichter Appell zum Ende der fossilen Energien. Eigentlich ehrlich: Auch Deutschland baut LNG-Terminals, hunderttausende neue Gasheizungen und Millionen neue Verbrennerautos. So verhindern wir sicher nicht die Klimakatastrophe.“ 

Prof. Volker Quaschning, Scientists for future

„Das Ergebnis hat jedoch auch bedenkliche Schattenseiten und Schlupflöcher, darunter die Betonung der Rolle von Erdgas als Übergangslösung. Das werden Förderländer und die fossile Industrie als Freifahrtschein für die Ausweitung der Gasförderung werten. Enttäuscht muss man auch darüber sein, dass die COP28 es nicht geschafft hat, bei der finanziellen Unterstützung für die ärmeren Länder Fortschritte zu erzielen.“

Jan Kowalzig, Oxfam

„Die COP28-Klimakonferenz war reines Greenwashing. Es ist kein ›historisches Paket‹, wie der Konferenzpräsident behauptet – weder im positiven noch im negativen Sinne.“ 

Nur eine Verpflichtung zum sofortigen Ausstieg aus fossilen Energien hätte dazu führen können, dass die Klimaziele erreicht werden. 

„Mit dieser Einigung wird das 1,5-Grad-Ziel kaum mehr erreichbar sein“.

Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

„Selbst wenn die vorliegenden Bestimmungen vollständig umgesetzt würden, wären Millionen Menschen im Globalen Süden immer noch mit Überschwemmungen, Bränden und Hungersnöten konfrontiert und stünden am Rande einer Klimakatastrophe.“ 

Sven Harmeling, Hilfsorganisation Care International

„Menschen können sich nicht daran anpassen, zu verhungern, und kleine Inselstaaten können sich nicht an einen steigenden Meeresspiegel anpassen.“

Denise Ayebare, Aktivistin aus Uganda

„Während die Zeit in Dubai abläuft, fühlt es sich an, als würde das geteilte Rettungsboot der Menschheit sinken.“

Vanessa Nakate, Aktivistin aus Uganda

Roland Vossebrecker

 

Die Ungerechtigkeit hinter den CO2-Budgets

Die Ungerechtigkeit hinter den CO2-Budgets

Die Ungerechtigkeit hinter den CO2-Budgets

von Simon Käsbach

Die Ungerechtigkeit hinter den CO2-Budgets

Ihr kennt sicherlich die CO2-Budgets, die angeben, wie viel Kohlenstoffdioxid ein Land noch ausstoßen darf, um eine bestimmte Grenze der Erderwärmung nicht zu überschreiten. Dies scheint ein sinnvoller Ansatz zu sein, doch in diesen Budgets steckt eine große Ungerechtigkeit. 

Die Berechnung des deutschen CO2-Budgets beruht nämlich auf der Annahme, dass alle Menschen in allen Ländern weltweit gleich viele Treibhausgase ausstoßen dürfen. Um eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit auf das 1,5°-Grad-Limit zu haben, dürfte Deutschland demnach noch 3,1 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen. 

Und warum ist das ungerecht? 

Es ist bekanntlich so, dass nicht alle Menschen auf der Welt früher und heute gleich viele Treibhausgase ausgestoßen haben. Die reichen Industriestaaten des Globalen Nordens haben bis heute etwa 92 % der verursachten Emissionen zu verantworten. Der Globale Süden, also Afrika, weite Teile Asiens und Südamerikas, ist insgesamt demnach für nur 8 % verantwortlich. Also verursachen auch die Menschen, die in diesen Teilen der Erde leben, mehr oder weniger Emissionen, je nach ihrem Lebensstil. Ein Mensch in Malawi, eines der ärmsten Länder weltweit, verantwortet im Durchschnitt nur 0,1 Tonnen Treibhausgase im Jahr, ein*e Deutsche*r jedoch durchschnittlich etwa 8 Tonnen. 

Bei CO2-Budgets vorauszusetzen, jeder Mensch dürfe noch gleich viel ausstoßen, ist also nicht nur unfair, sondern im Kern rassistisch und neokolonial. Denn meist sind es eben arme und von Diskriminierung betroffene Menschen, die zwar einen niedrigen CO2-Fußabdruck haben, aber am meisten unter der Klimakrise leiden. 

An diesem Beispiel sieht man klar, dass Rassismus und Neokolonialismus immer noch fest in unseren westlichen Denkstrukturen verankert sind. Es wird in vielen Bereichen der Medien, der Politik, aber auch bei NGOs ganz selbstverständlich mit diesen Budgets gearbeitet und argumentiert. 

Bei einer wirklich fairen CO2-Budget-Berechnung, die historische Verantwortung mit einbezieht, dürften z.B. Deutschland oder die USA im Grunde gar keine Emissionen mehr ausstoßen, sondern müssten sogar negative Emissionen verzeichnen.  

Alle Budget-Rechnungen können nur auf Schätzungen beruhen, da wir das Erdsystem nicht umfassend und gut genug verstehen, um uns darauf zu verlassen. Dennoch wird offensichtlich, dass es nicht sein kann, dass Klimaschutz auf der Grundlage solch ungerechter Budgets gemacht wird. Deutschland zieht sich mit dieser problematischen Berechnung ein Stück mehr aus seiner globalen Verantwortung. Wenn KlimaGerechtigkeit nicht konsequent mitgedacht wird, dann wird selbst Klimaschutz rassistisch und neokolonial. 

Es darf nicht sein, dass Länder des Globalen Nordens die Klimakrise erst verursachen und dann nicht bereit sind, ausreichende und wirklich gerechte Maßnahmen vorzulegen. Zudem muss auch das Recht auf Entwicklung berücksichtigt werden, denn Länder, die bislang wegen Ausbeutung oder anderen Faktoren nicht die Möglichkeit hatten, sich so stark zu entwickeln wie Länder des Globalen Nordens, haben ein Recht darauf, sich nachhaltig und wohlständig zu entwickeln. 

Eigentlich ist es ganz einfach: 

Wer mehr Verantwortung für die Verursachung der Klimakrise trägt, ist jetzt in der Pflicht, mehr Klimaschutz zu betreiben und klimagerechte Maßnahmen vorzulegen.

 

Wir sollten bestimmte CO2 Budgets also immer kritisch hinterfragen. Auf welcher Grundlage wurde das Budget erstellt? Wurde die historische Perspektive berücksichtigt? Liegt ein global gerechter Ansatz zugrunde?

Wir müssen in allen Bereichen kommunizieren, dass das Budget von Deutschland in der jetzigen Form maßlos ungerecht, und unser aktuelles Tempo beim Klimaschutz absolut nicht hinnehmbar ist. Es braucht eine Budgetberechnung, welche auf Grundlage von Gerechtigkeitsaspekten gemacht ist. 

Länder des Globalen Nordens haben die Mittel, weitreichenden Klimaschutz zu betreiben. Dieser Aspekt ist grundlegend für die KlimaGerechtigkeit!
Denn wir im Globalen Norden haben meist auch die Privilegien, uns frei äußern zu können und uns zu engagieren. Also lasst uns diese Privilegien nutzen, um für eine gerechte Welt zu kämpfen!

Die globale Verantwortung muss endlich ernst genommen und eingefordert werden. 

Von uns. 

Simon Käsbach

 

Technologieoffenheit 

Technologieoffenheit 

Technologieoffenheit 

von Roland Vossebrecker

ist ein beliebtes Schlagwort konservativer und (neo)liberaler Politiker*innen, das besagen soll, dass irgendeine zukünftige Technologie es mit der Klimakrise schon richten wird, ohne dass wir dafür unser Verhalten, unser Konsum-Modell, unser Wirtschaftssystem überdenken müssten.

Dass Technologieoffenheit aber auch Grenzen hat oder zumindest haben sollte, kann das folgende Gedankenexperiment verdeutlichen:

Stellen wir uns einmal vor, findige Ingenieur*innen entwickeln eine neue Technologie und bringen sie zur Marktreife. Das neue Produkt wird enthusiastisch gefeiert und beworben: Es verspricht relativ großen Komfort und Bequemlichkeit bei vergleichsweise hoher Geschwindigkeit. 

Ehrlicherweise ist das Produkt nicht ganz billig. Die Anschaffungskosten belaufen sich auf 15.000 € bis 60.000 € oder mehr, je nach Anspruch des/der Kund*innen. Außerdem muss mit jährlichen Betriebs- und Wartungskosten von noch einmal durchschnittlich 1.200 bis 5.000 € gerechnet werden. Nicht zu viel, finden die meisten, denn das Produkt steht vor allem für grenzenlose individuelle Freiheit. 

Im Kleingedruckten muss allerdings auf die Nebenwirkungen verwiesen werden. Deutsche Bundesbürger*innen müssen jährlich 330.000 Stunden sinnlos verlorener Wartezeit mit einkalkulieren. Vor allem aber ist mit Kollateralschäden zu rechnen (dies im ganz klein-gedruckten): Es sei zu erwarten, dass die neue Technologie jährlich ca. 2700 Menschen das Leben kosten wird. Dazu kämen weit mehr als 300.000 Verletzte, enorme Kosten für das Gesundheitssystem und eine miserable Klimabilanz.

Würde eine solche Technologie je erfolgreich sein können? Würde sie trotz allem akzeptiert werden? Wohl kaum! Kein*e Politiker*in könnte den Tod von Tausenden Menschen Jahr für Jahr mit Technologieoffenheit rechtfertigen.

Das Pikante daran: 

Diese Technologie gibt es schon und wir haben uns längst an sie gewöhnt. Man nennt sie – Auto.

Roland Vossebrecker