Die Frage nach der Verantwortung

Die Frage nach der Verantwortung

Die Frage nach der Verantwortung

von Tabea Schünemann

„Es ist nicht Volker Wissing, der die Klimaziele im Verkehr nicht erreicht, es sind die Bürgerinnen und Bürger, die die Klimaziele nicht erreichen. Die Menschen wollen eben mobil sein.“ Bei dieser Aussage von FDP-Chef Christian Lindner brennen mir sofort die Finger. Wir müssen hier mal über den Begriff der Verantwortung in der Klimakrise reden. Wer trägt sie? Lindner weist mit dieser Aussage jegliche Verantwortung von sich und schiebt sie den Bürger*innen zu. 

Da stellt sich die Frage: Sagt der „Vertrag mit dir selbst“ der IKGL und unser Plädoyer für ein klimagerechtes Leben nicht so etwas ähnliches wie Lindner? Dass die Bürger*innen selbst verantwortlich sind? Dass sich jede*r selbst dafür entscheiden muss, das Auto stehen zu lassen, kein Fleisch zu essen, weniger zu konsumieren, usw.? Also: Wie ist das jetzt mit der Eigenverantwortung? (Siehe dazu auch: „Klimagerecht? – KlimaGerecht!)

An dieser Stelle sei klar gesagt: Mein Verständnis von Eigenverantwortung hat NICHTS mit dem vom Lindner zu tun. Natürlich appellieren wir an die einzelnen Menschen und ihren Beitrag zum Thema Klimagerechtigkeit. Wir wollen, dass sich die Menschen ihrer Verantwortung bewusstwerden, die sie als Individuen und in ihren gesellschaftlichen Rollen tragen. Jede einzelne Entscheidung zählt, weil sie in der Summe den Unterschied macht. Wir leben in einer Gesellschaft, die wir zum Glück mitgestalten dürfen. Und deswegen sollten. Wir wollen die Menschen wachrütteln und ihnen zeigen, dass sie etwas bewegen können. Dass wir nicht länger wegschauen dürfen und sich die Erkenntnisse endlich in Taten umwandeln müssen. Keine Frage. 

Aber:
Der Versuch mit der Schuldzuweisung an die Bürger*innen von der eigenen politischen Verantwortung abzulenken, ist einfach nur perfide.
Die Eigenverantwortung der Individuen steht in keinem Verhältnis zur politischen Handlungsmacht. Der Fokus liegt völlig falsch.

Diese Ablenkung beleidigt das politische Engagement der Klimabewegung, die unaufhörlich die Verantwortungsträger*innen für ihr Versagen in der Klimapolitik zur Rechenschaft zieht. Sie ignoriert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das der Bundesregierung eine deutliche Verantwortung bzw. Schuld zuspricht.
Ja, die Menschen wollen mobil sein, aber den Rahmen und die Möglichkeiten können sie sich kaum aussuchen. Natürlich müssen wir über das Auto als Statussymbol, die Bequemlichkeit von uns Menschen usw. reden, aber die Macht der Einzelnen hört da auf, wo schlicht und ergreifend kein Bus fährt. Wo das Flugzeug billiger ist als die Bahn. Wo die nachhaltige, verantwortungsvolle Alternative regelmäßig teurer und/oder unbequemer ist. Wo die 100 größten Konzerne 70% des weltweiten CO2– Ausstoßes verursachen.

Es kann doch nicht sein, dass individuelle und politische Verantwortung ständig gegeneinander ausgespielt werden! Das führt letztlich dazu, dass keine Seite Verantwortung übernimmt. Alle sollten die großen und kleinen Hebel bewegen, die sie haben. Wir möchten alle Seiten an ihre Verantwortung erinnern, im Bewusstsein um die unterschiedlich großen Handlungsspielräume. Die größten Hebel liegen nun mal bei der Politik, lieber Herr Lindner. Die Brücke von individueller zu politischer Verantwortung ist die Demokratie. (Siehe https://klimagerecht-leben.de/warum-politik ).

Uns geht es um die Eigenverantwortung der Menschen, weil wir ihnen etwas zutrauen möchten. Nicht als politische Strategie, als Ablenkungsmanöver. Sondern als Appell an mündige Bürger*innen, wach und aktiv durch diese Welt zu gehen und sie zu gestalten.

Tabea Schünemann

Klimagerecht? KlimaGerecht!

Klimagerecht? KlimaGerecht!

Klimagerecht? KlimaGerecht!

von Roland Vossebrecker

In vielen Gesprächen mit interessierten Menschen stellen wir immer wieder fest, dass unsere Idee des klimagerechten Lebens häufig missverstanden wird.

Offensichtlich assoziieren viele mit klimagerechtem Leben eines, dass „dem Klima gerecht“ wird, also der Klimaentwicklung, der Erderwärmung, dem Klimawandel. Unter diesem Blickwinkel geht es dann ausschließlich um die Reduzierung des persönlichen CO2-Fußabdrucks.

Wenn’s unglücklich verläuft, reduziert sich die Diskussion auf pro und contra Fleisch-essen, und es ist erstaunlich, wie viel Emotionalität dieses relative Randthema entfacht. Aber wir verstehen uns ja nicht hauptsächlich als Vegetarier*innen-Initiative!

Selbstverständlich ist der individuelle CO2-Fußabdrucks auch Teil unserer Agenda und die möglichst konsequente Verminderung desselben unser Anspruch an uns selbst. Aber unser Konzept von klimagerechtem Leben hat einen anderen Ansatz und geht weit darüber hinaus. 

Denn im Kern geht es uns um Gerechtigkeit. Den Gerechtigkeitsgedanken zu Ende zu denken und konsequent ernst zu nehmen, das ist unser Anliegen.

Dass diese Welt nicht gerecht organisiert ist, ist nun keine Neuigkeit, aber die Klimakrise verschärft die bestehenden Ungerechtigkeiten dramatisch und verursacht neue. Sie verschärft die Ungleichheit zwischen den reichen Katastrophenverursacher*innen und den armen Katastrophenerleidenden und setzt damit kolonialen Rassismus fort. Und sie verursacht eine neue Dimension der Ungerechtigkeit zwischen den Älteren und den Jüngeren, zwischen den Heutigen und den Zukünftigen.

Klimagerechtigkeit also allein auf CO2-Verminderung zu reduzieren, ist zu kurz gedacht.
Wenn wir das Anliegen, gerecht zu leben, ernst nehmen, 

  • dann dürfen wir nicht mehr für uns in Anspruch nehmen, als uns zusteht (> Konsumkontrolle und -Verzicht), 
  • dann sollten wir in der Lage sein, den Wohlstand, der uns durch die Verbrennung von Kohlenstoff zuteilwurde mit jenen zu teilen, die die Folgen davon zu tragen haben (> klimagerechtes Spenden), 
  • dann müssen wir uns mit aller Kraft dafür einsetzen, die Erderhitzung so weit wie möglich zu begrenzen (> politisches Engagement).

 

Warum gehört die CO2-Reduktion zum „Vertrag mit Dir selbst“ denn dann überhaupt dazu?

Nicht, weil wir glauben, damit „das Klima zu retten“! Auch hier geht es vor allem um die Gerechtigkeit und die Wahrnehmung der eigenen Verantwortung auf allen Ebenen!
Dass Deutschland historisch eine deutliche höhere „CO2-Schuld“ hat als der gesamte afrikanische Kontinent, sollte nachdenklich stimmen. Wir wollen einfach nicht mehr über unsere Verhältnisse leben, oder besser: über die Verhältnisse der anderen (wie Stefan Lessenich das richtigerweise ausdrückt: Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. Hanser, Berlin 2016).

Dazu kommt, dass ein CO2-reduzierter Lebensstil auch viel zu tun hat mit gegenseitiger Inspiration und einer sozialen Vorbildfunktion, die auf eine breite gesellschaftliche Veränderung wirkt (> Überzeugungsarbeit).

Und am Ende wollen wir doch alle lieber Teil der Lösung als Teil des Problems sein, oder?

Roland Vossebrecker

BÖSE WÖRTER

BÖSE WÖRTER

BÖSE WÖRTER

von Roland Vossebrecker

Böse Wörter

in der Klimakommunikation, Wörter wie Verantwortung, Schuld, Scham, Katastrophe, Angst, die wir lieber umgehen, verdrängen, vermeiden wollen.

 

Verantwortung 

Wieso ist „Verantwortung“ ein böses Wort? 

Wir möchten doch so gerne die Politiker*innen, die Wirtschaft, die Industrie etc. zur Verantwortung ziehen – und das ist ja auch absolut notwendig und richtig!

Nun ja, weil ich die eigene Verantwortung meine. Es gehört zu den natürlichen menschlichen Reflexen, bei allem Ungemach sofort anderen die Verantwortung zuzuschieben, sei es der*m Arbeitgeber*in, der Bundesbahn, dem Bundestrainer, dem Ehepartner, vor allem „denen da oben“. 

An die eigene Verantwortung möchte man lieber nicht erinnert werden. Sie anzunehmen ist anspruchsvoll und unangenehm, aber meiner Überzeugung nach zwingend notwendig. Sie muss sich auf die Zukunft richten, aber sie entsteht auch aus den Fehlern der Vergangenheit. 

Versagen

Sprechen wir es ruhig mal aus: Wir haben versagt! Wir, das ist meine Generation, meine Gesellschaft und ich ein Teil von ihr. Wachstums-, Wohlstands- und Fortschrittsversprechungen haben uns blind gemacht für die Kollateralschäden unserer Lebensweise. Die verführerische Bequemlichkeit unseres Konsummodells hat bei zu vielen – mich eingeschlossen – den hinterfragenden Blick zu lange getrübt.

Daraus ergibt sich eine

Schuld.

Diese anzuerkennen ist ein Schritt, der noch schmerzlicher aber gleichermaßen notwendig ist. Unsere Wohlstandsgesellschaft hat sich jahrzehntelang einbilden können, dass „alles immer besser wird“. Die Krisen des Klimas, des Artenschutzes, der globalen Gerechtigkeit holen uns nun ein, und wir müssen uns eingestehen, was wir bereits für einen Schaden angerichtet haben. 

Wie könnte eine ehrliche Auseinandersetzung mit MAPA (Most Affected People and Areas), mit betroffenen Menschen im globalen Süden ohne aufrichtiges Schuldgeständnis sonst möglich sein? 

Aus Schuld entsteht

Scham,

ein unangenehmes Gefühl, das aber zu einer gewissen Demut führen kann, – und führen sollte, in Anbetracht dessen, was auf die Menschheit zukommt. Denn das ist nichts weniger als eine lebensbedrohende

Katastrophe,

denn „Erderwärmung“ oder „Klimawandel“ sind verharmlosende Begriffe für Ereignisse, die sich bereits heute abspielen, die in Zukunft immer häufiger und heftiger auftreten und die „unsägliches menschliches Leid“ verursachen werden – so die Formulierung von 11.000 Wissenschaftler*innen in ihrem Aufruf zum „Klima-Notfall“ 2019.

Auch ein Worst-Case-Szenario, bei dem wegen einer Kettenreaktion der verschiedenen Kipppunkte im Klimasystem die Erhitzung so sehr außer Kontrolle gerät, dass das Überleben der Menschheit in Frage steht, wird von wissenschaftlicher Seite ernsthaft diskutiert.

Wie entmutigend ist es, den schlimmsten Fall vor Augen zu haben? Wie notwendig ist es, sich auch den schlimmsten Fall vorzustellen? Wie viel

Angst

macht das und wie geht man damit um? Es gehört sich nicht, von Angst zu sprechen, denn Angst kann lähmen, kann zu Verzweiflung und Resignation führen. 

Und doch:

„I want you to feal the fear I feal every day…” 

 

Ich möchte mal wieder persönlich werden:

Vielleicht sind es doch keine „bösen Wörter“, sondern – richtig verstanden – Anstöße, zum raus-aus-der-Passivität, raus aus dem man-müsste-mal-Modus, Anstöße zum aktiven Handeln.

Verantwortung, Schuld und Scham anzunehmen und mit Aktivismus zu begegnen, ist für mich der einzig gangbare Weg, und für mich die beste Weise, mit der der Angst vor den drohenden Katastrophen umzugehen:

Ich weiß um meine Verantwortung und um meine Schuld, ich schäme mich dafür, versagt zu haben, viel zu spät begriffen zu haben und viel zu langsam vom Verstehen zum Handeln gekommen zu sein, ich weiß von den Katastrophen, die heute passieren und von jenen, die der Menschheit noch bevorstehen, selbst im günstigsten Falle eines unter-2°-Szenarios. Und ich habe Angst!

Aber all das motiviert mich, weiterzumachen, zu kämpfen um jedes Zehntel Grad, um jedes Stückchen Gerechtigkeit, für die Vision eines besseren, klimagerechten Lebens.

“…and then I want you to act!” (Greta Thunberg)

 

 

Roland Vossebrecker

VERZICHT NEU BESETZEN

VERZICHT NEU BESETZEN

Verzicht neu besetzen

von Roland Vossebrecker

Verzicht neu besetzen

Christian Lindner: 

„Es sind hierzulande – in Deutschland insbesondere – ja viele unterwegs, die predigen einen Verzicht auf Wachstum.“

„Manche wollen Klimaschutz machen mit Askese, Verbot, Verzicht, kein Wachstum – der Lebensstandard des Jahres 1995, so schlecht war der doch auch nicht –; kann man alles wollen! Wir werden auf dem Wege möglicherweise auch Moralweltmeister werden. (…)“

Verzicht ist ein Begriff, der in der politischen Debatte ziemlich in Verruf geraten ist, – nein, der systematisch in Verruf gebracht wurde. Schon die immer wieder anzutreffende Formulierung des predigen dient dazu, Verzicht als religiös oder sektiererisch zu diffamieren. Als ginge es ums Predigen und nicht ums Praktizieren!

Auch „Klimakanzler“ Olaf Scholz stieß ins selbe Horn:

 „Der gemeinsame Konsens dieser Regierung besteht nicht darin, überall Verzicht zu predigen – das tun wir gar nicht –, sondern auf technologischen Fortschritt und dynamisches Unternehmertum zu setzen.“

Verzicht wird zum Tabu, kaum jemand mag noch drüber sprechen, schon gar nicht in der Politik. Das überall gelebte und propagierte Ideal ist das der „Freiheit“, das leider zu einem Synonym für Rücksichtslosigkeit und Egoismus verkommt.

 

Brauchen wir eine neue Definition des Begriffes? Wie können wir den Verzicht neu formulieren und wieder positiv besetzen? Oder brauchen wir andere, unbelastete Begriffe?
Einige Vorschläge:

Suffizienz: 

Der Begriff wird im Sinne der Frage nach dem rechten Maß sowohl in Bezug auf Selbstbegrenzung, Konsumverzicht oder sogar Askese, aber auch Entschleunigung und dem Abwerfen von Ballast gebraucht. In allen Fällen geht es um Verhaltensänderungen (insbesondere) als Mittel des Umweltschutzes.
(Wikipedia)

 

Genügsamkeit: bezeichnet 

  • Bescheidenheit, eine zurückhaltende Verhaltensweise
  • Dankbarkeit, eine vom Dank erfüllte Haltung und Empfindung
  • Enthaltsamkeit, den Verzicht auf bestimmte Genussmittel
    (Wikipedia)

 

Minimalismus, Einfaches Leben: 

oder freiwillige Einfachheit bezeichnet einen Lebensstil, für den das Prinzip der Einfachheit zentral ist. Ein solches Leben kann sich beispielsweise durch die freiwillige Reduzierung des Besitzes – bekannt als Minimalismus – oder den Versuch der Selbstversorgung auszeichnen.
(Wikipedia)

 

Degrowth: bezeichnet eine Verringerung von Konsum und Produktion und damit auch des BIPs als ein Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und Wohlbefinden.
(Lexikon der Nachhaltigkeit)

 

Das ist alles gut und richtig, aber vielleicht geht es auch ganz anders. Halten wir einfach dagegen:

 

Verzicht ist geil

Hierbei geht es um nicht weniger als um eine Geisteshaltung, eine Lebenseinstellung, um Widerstand gegen einen egoistischen und zerstörerischen Zeitgeist.

  • Mit dem Verzicht aufs Auto, Flugzeug, Kreuzfahrtschiff etc. verzichtet man darauf, den eigenen CO2-Fußabdruck extrem zu vergrößern.
  • Mit dem Verzicht auf fast fashion verzichtet man auf Sklaverei-artige Ausbeutung von Menschen, hauptsächlich von Frauen in Südost-Asien (Bangladesch, Kambodscha etc.) 
  • Mit dem Verzicht auf Fleisch verzichtet man auf die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes.
  • Mit dem Konsumverzicht unterlässt man das Vermüllen von Umwelt und Meeren, und auch des eigenen Lebens, denn:

Man kann nicht nur auf etwas, sondern auch für etwas verzichten!

  • Jeder Verzicht eröffnet auch Freiräume.
  • Verzicht befreit von unnötigem Krempel und schenkt dadurch das Wertvollste: Zeit.
  • Verzicht befreit von Schuld.
  • Verzicht rettet Leben. 
  • Verzicht verleiht das Gefühl von Selbstwirksamkeit.

Zum Abschluss noch mal Christian Lindner: „Ich will nicht verzichten, und ich will auch nicht, dass andere verzichten müssen.“

Ob er mal darüber nachgedacht hat, auf was die Menschen in Somalia so alles verzichten müssen?

 

Roland Vossebrecker

Warum Aktivismus?

Warum Aktivismus?

Warum Aktivismus? 

Mein persönlicher Weg zur Klimagerechtigkeit

von Tabea Schünemann

Ich möchte Euch hier erzählen, wie ich (neu) zum Einsatz für Klimagerechtigkeit gefunden habe. Was meine persönliche Geschichte damit ist. 

Ausgangspunkt war meine intensive Auseinandersetzung mit Auschwitz und den Verbrechen des Holocaust. 

Bei allem, was ich jetzt äußern werde, sei vorab gesagt, dass ich damit in keinster Weise den Holocaust relativieren möchte. Es soll darum gehen, was Auschwitz mit mir und uns heute zu tun hat und dabei fokussiere ich mich auf einen Aspekt neben anderen, die ebenso wichtig sind. 

Es ist wichtig, weiter an einer guten Erinnerungskultur zu arbeiten. Auch meine Generation muss sich mit einer vererbten Schuld auseinandersetzen, selbst wenn es sich unfair anfühlt. Um sprachfähig zu sein. Um mutig gegen Antisemitismus und alle anderen Formen von Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit vorzugehen. Denn wir wissen, wozu es im Extremen führen kann. Deswegen geht es für mich persönlich weniger um eine Schuld- sondern um eine Verantwortungs-Frage. „Nie wieder Auschwitz“ heißt: Wir haben aus der Geschichte gelernt. Wir ersticken Hass im Keim. Wir lassen nicht zu, dass sich Hass als „Sorge“ getarnt im normalen Sprachgebrauch und gesellschaftlichen Umgang etabliert. 

Doch „Nie wieder Auschwitz“ hat für mich noch einen anderen Aspekt. Verständlicherweise kommt in der Beschäftigung mit dem Holocaust irgendwann die Frage auf: Wie konnte es soweit kommen? Immer wieder habe ich mich auch gefragt: Was hätte ich getan? Wie hätte ich mich verhalten?  

Eine mühsame Frage, da sowieso nicht zu beantworten. Mittlerweile halte ich das auch nicht mehr für entscheidend. Sondern: Was tue ich jetzt, heute, hier? Bei welcher menschenverursachten Katastrophe schaue ich bewusst weg? Wo lasse ich das Leid anderer Menschen nicht an mich heran, weil es weit weg ist und mich (noch) nicht direkt betrifft? Wo könnten mich meine Enkel*innen in 70 Jahren fragen: Warum hast du nichts getan? Wo warst du? Du hast es doch gewusst! 

Und mit „es“ meine ich in diesem Fall die Klimakatastrophe und damit zusammenhängende Ungerechtigkeit. Sie ist schon lange kein Geheimnis mehr. Doch wir Menschen sind sehr gut im bewussten Wegschauen. Auf politischer, wie auf persönlicher Ebene – und es bräuchte die Zusammenarbeit von beiden! – haben wir alle Weckrufe verschlafen. 

“I want you to panic!“

Und wir? Achselzucken, Ausreden („ich kaufe doch nur noch Biofleisch“), Kleinreden der eigenen Handlungsmöglichkeiten („ich kann sowieso nichts bewirken“) oder lähmende Hoffnungslosigkeit („es ist doch sowieso schon zu spät“).  

 

Dabei verlieren wir aus dem Blick, dass es um Menschen geht, die die Konsequenzen unseres Tuns und Lassens tragen müssen. Uns fehlt das Mitgefühl, da wir den Leidtragenden in einer globalen Welt nicht immer direkt in die Augen schauen müssen. 

Auch im Hass gegenüber Jüd*innen war (und ist) deren Entmenschlichung ein wichtiger Punkt. Hier wurde Mitgefühl systematisch abtrainiert. Wer kein Mensch ist, hat auch keine Menschenrechte. Ich halte das für eine wichtige Lektion aus dem Holocaust: „Nie wieder Auschwitz“ heißt für mich auch: „Nie wieder Entmenschlichung“. 

Natürlich ist unsere Situation heute nicht mit Nazi-Deutschland vor 80 Jahren gleichzusetzen. Wir leben in einer freien Demokratie, die zwar strukturelle Probleme hat, aber nicht systematisch die Vernichtung von Menschen durchführt. Dennoch: Um zum klimagerechten Leben zu motivieren, sollte die Erkenntnis helfen, dass es sich bei den Opfern der Klimakatastrophe um Menschen handelt. Echte Menschen mit Namen, Träumen, Wünschen, schönen und schrecklichen Momenten und einem Lebenswillen, eben mit Menschenrechten. Wir leben auf Kosten von echten Menschen, auch deren Würde sollte unantastbar sein. Sie sind keine abstrakten Zahlen, auch wenn sie uns oft in dieser Form begegnen. 

Auch Gleichgültigkeit ist eine Form von Handeln. Niemand kann sich nicht zu dieser Katastrophe verhalten. Es geht nicht darum, allein die ganze Welt retten zu müssen. Aber ich möchte ohne schlechtes Gewissen in den Spiegel schauen können. Ich möchte am Ende meines Lebens mir selbst und meinen Enkel*innen sagen können: Ich habe alles versucht. 

In diesem Sinne hilft mir die Einladung der Initiative KlimaGerecht Leben, wieder Ernst zu machen mit diesem Thema, und mit einer konsequenten Haltung Teil der Lösung zu sein. Gemeinsam mit anderen und für andere. 

Darum ist meine Greta-Frage: Wie hast du`s mit dem Klima?

 

Tabea Schünemann

VOM PASSIVISMUS

VOM PASSIVISMUS

Vom Passivismus

von Tabea Schünemann und Roland Vossebrecker

In einem gut sortierten Buchladen fand ich neulich im „Klimaregal“ dicht beieinander u. a. folgende Titel:

Der Klimaschutz-Kompass

Werde ein Erdenretter

Bewegt Euch. Selber! Wie wir Mobilität (…) neu erfinden

Zero Waste für Einsteiger

Besser leben ohne Plastik 

Lasst uns den Planeten retten

und sogar

Klimaschützen kinderleicht

Es ist offensichtlich kein Mangel an guten Ratgebern für ein ökologisches, ein nachhaltiges, ein klimagerechtes Leben. Dazu kommt ein unübersehbares Angebot an vorzüglichen Ratgeberseiten im Internet. 

Wieso habe ich trotzdem den Eindruck, dass sich gesellschaftlich viel zu wenig tut? Und viel zu langsam? Wo doch Klimaschützen kinderleicht sein soll?

Ja, es gibt auch positive Tendenzen. Die Zahl der Veganer*innen ist in Deutschland von 2016 bis 2020 von 0,8 auf 1,1 Millionen gestiegen, die der Vegetarier*innen von 5,3 auf 6,5 Millionen. Fast zeitgleich erreichte aber auch der Anteil von SUV 2021 an verkauften Neuwagen mit knapp über 25 % einen neuen Rekordwert.

Auch beim Bewusstsein für die Dringlichkeit der Krise und beim Engagement für den Klimaschutz gibt es Licht und Schatten. Erfreulicherweise gibt es zahlreiche kleine und große Initiativen, Vereine und Protestbewegungen, die sich mit Leidenschaft dem Thema widmen. Auf der anderen Seite aber scheinen viele Menschen die Dramatik der Lage noch gar nicht erfasst zu haben.

Radikaler Aktivismus? 

Ein echter gesellschaftlicher Durchbruch lässt immer noch auf sich warten. Klimagerechtes Leben ist eben leider immer noch die Ausnahme. In diesem Kontext ist es dann fatal, dass jene, die die Dringlichkeit der drohenden Katastrophe erkennen und sich engagieren z. T. als „radikale Aktivist*innen“, als „Klimaterroristen“ (richtigerweise das Unwort des Jahres 2022!) diffamiert werden. 

Das Eintreten für Klimagerechtigkeit, die Forderung eines 100 Milliarden-Fonds für sozial gerechten Klimaschutz, die globalen Klimastreiks von Fridays for Future und auch die Formen gewaltlosen, zivilen Ungehorsams von Extinction Rebellion oder Letzte Generation, all dies ist nicht radikal. Radikal ist es, die Warnungen der Wissenschaft zu ignorieren und weiterzumachen wie bisher. Radikal ist es, sehenden Auges und mit Vollgas vor die Wand zu fahren!

Wieso aber fällt es vielen so schwer, aktiv zu werden?

Bei meinen vielen Gesprächen mit Passant*innen an unseren IKGL-Ständen sind mir zwei Argumentationsmuster aufgefallen, die beide gleichermaßen frustrierend sind:

Viele reagieren in etwa so: „Weiss de, janz ehrlich, also, wenn de mich frägs, datt iss doch eh alles zu spät, da iss nix mehr zu machen.“ – meist verbunden mit „Die kriegen datt doch eh nich hin!“ Die (!), nicht wir!

Wenn ich mal ganz ehrlich bin: Ich glaube diesen Leuten nicht! Ist ihnen wirklich bewusst, was sie da sagen? Machen sie sich klar, was das „eh zu spät“ wirklich bedeuten würde? Kann man so etwas einfach so im lockeren Stammtisch-Tonfall raushauen? Könnte man denn mit dieser Aussicht auf den nahen Weltuntergang noch ruhig schlafen oder den Alltag bewältigen?

Nein, ich vermute hier eine recht durchschaubare Methode, sich davor zu schützen, selbst aktiv werden zu müssen.

Eine andere Linie mit dem gleichen Effekt verfolgen jene, die etwa so argumentieren: „Klimagerecht Leben? Mache ich ja schon, ich fahre E-Bike!“ (Habe ich wörtlich so gehört!)

Prima, es ist wirklich gut, E-Bike zu fahren, wenn man dabei auf das Auto verzichtet. Noch besser wäre Bike ohne E! Aber zu glauben, dass das schon das klimagerechtes Leben bedeutet? O ha…

Ohnehin assoziieren die allermeisten mit dem klimagerechten Leben fast immer nur die Reduktion von etwas CO2. Für Gerechtigkeit reicht das aber noch lange nicht aus. In unserem „Vertrag mit Dir selbst“ ist die CO2-Einsparung selbstverständlicher, aber nicht wichtigster Bestandteil. Mit Konsumverzicht, Fairness, klimagerechtem Spenden und politischem Engagement kann man wesentlich mehr Wirkung entfalten.

Fatalerweise glauben aber viele, dass sie ihren Anteil schon geleistet hätten, wenn sie ab und zu das Auto stehen lassen, nur noch zwei Mal im Jahr in den Urlaub fliegen oder sich eine „klimapositive“ Hautcreme kaufen.

Offensichtlich ist das wirklich klimagerechte Leben ein Stück weit anspruchsvoller, und auch wir, die Initiative Klimagerecht Leben, müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Schritt vom Passivismus weg und hin zum wirkungsvollen Aktivismus kein kleiner ist, dass es tatsächlich vieler einzelner Schritte bedarf:

  • Ein Bewusstsein für die Dringlichkeit der Krise entwickeln.
  • Verdrängung überwinden.
  • Die eigene Verantwortung begreifen.
  • Rechtfertigungsreflexe durchschauen und beenden.
  • Lähmung und Ohnmacht überwinden.
  • Wirkungs- und Handlungsmöglichkeiten entdecken. 
  • Hemmungen überwinden und Haltung zeigen.

Es ist ein Weg mit einer Reihe von Hürden, die man überwinden muss. Aber man kann ihn gehen. Und Selbstwirksamkeit erfahren.

 

Aktivismus muss wieder positiv besetzt werden. 

Denn das Problem sind die Passivist*innen! 

Radikaler Passivismus!

Nichtstun ignoriert die Konsequenzen der eigenen Lebensentscheidungen und die Tatsache, dass unser Wohlstand auf der Ausbeutung anderer basiert. Andere, die zwar weit weg scheinen oder nicht so aussehen wie wir, aber dennoch Menschen mit Rechten und Würde sind. Leider ist unser System so gebaut, dass Gerechtigkeit die Ausnahme bleibt. Wer dabei passiv mitmacht, stützt das ungerechte System.

Aktiv zu sein heißt: Ich bin nicht einverstanden mit dem Ist-Zustand. Ich habe eine Vision einer besseren Welt!
Aktiv sein bedeutet, nicht mehr gleichgültig zu sein.

Nichts zu tun, passiv bleiben ist auch eine Entscheidung, eine für eine schlechtere Welt! 

Tabea Schünemann und Roland Vossebrecker